Mutter bei die Fische
über dessen Charakter sagen. Piet führte eine Fischbude in Norderende, fraglos die beste, die Falk kannte, ganz Hamburg mit eingerechnet, und hatte ihm letztes Jahr einmal aus der Patsche geholfen, als er kurzfristig Getränke und einen Kühlschrank gebraucht hatte. Ansonsten sang er mit ihm Seite an Seite jeden Samstag im Shantychor. Mehr Berührung hatte er mit dem Mann nicht, und wenn Falk länger darüber nachdachte, empfand er Piet irgendwie als charakterlich unauffällig. So als ob sich dessen Originalität auf sein piratenartiges Aussehen beschränkte. Er würde diesen Typ genauer unter die Lupe nehmen, manchmal musste man Grit vor sich selbst schützen.
Erst jetzt bemerkte Falk, dass es aufgehört hatte zu regnen. Dafür war die Temperatur massiv gesunken, und ein eiskalter Nordseewind pfiff durch seine nassen Sachen. Falk machte, dass er samt Brötchensack in die Halle kam. Diese war bereits zu einem Drittel frei geräumt, und die Männer von der Feuerwehr hatten den Suppenbehälter mitten auf die freie Fläche gestellt. In Windeseile waren Plastikbesteck und Suppenschalen ausgepackt, jeder schnappte sich ein Getränk, und Grit verteilte als einzige Frau inmitten der nun über achtzig Männer glückstrahlend eine würzig riechende Gulaschsuppe. Aus dem Radio plärrte immer noch der aufdringliche Moderator und pries seinem »jungen und jung gebliebenen Publikum« die besten Hits der siebziger, achtziger und neunziger Jahre an. Falk entledigte sich noch rasch seines nassen Sweatshirts und wechselte in ein T-Shirt und Onkel Stens alten Troyer, der immer an einem Haken neben der Eingangstür hing. Dann ging er zu Nille, der Grit bei der Suppenausgabe assistierte, und nahm den Klabautermann zur Seite.
»Nille, vielen Dank. Ohne dich hätten wir das heute nicht geschafft hier.«
Nille wurde rot, wandte den runden haarlosen Kopf ab und schüttelte sich. Er wollte etwas sagen, aber bekam keinen Ton heraus.
»Nee, ehrlich«, setzte Falk nach, »du bist wirklich der Hammer. Danke, mein Freund.«
Jetzt warf sich Nille wieder an Falks Brust und umklammerte ihn fest. Er drückte Falk immer wieder an sich, dann löste er sich endlich, blickte verschämt zu Boden und murmelte: »S-s-super, F-f-falk. S-s-super«, bevor er sich wieder neben Grit stellte.
Falk wartete ab, bis die letzten Statisten ihre Suppe hatten, bevor auch er zu seiner Mutter ging.
»Wie lange bist du denn schon da?«, erkundigte er sich betont beiläufig.
»Ich bin vorhin mit der letzten Fähre gekommen«, erwiderte Grit und warf einen schnellen Blick zu Piet.
»Warum hast du dich nicht gemeldet?«, fragte Falk und merkte, dass sein Tonfall einen Hauch von Vorwurf hatte. »Ich hätte dich doch abgeholt.«
»Wohl kaum«, lachte Grit, »offenbar warst du voll beschäftigt.«
Falk zuckte mit den Schultern. Er ärgerte sich über sich selbst, dass er sich nicht einfach über die Ankunft seiner Mutter freuen konnte und stattdessen die beleidigte Leberwurst spielte.
»AuÃerdem hat Piet mich abgeholt. Das ist doch okay für dich?« Grit sah ihren Sohn mit leichter Besorgnis an.
»Na klar«, beeilte sich Falk zu sagen. »Ich wusste gar nicht, dass ihr â¦Â« Himmel, was sollte er jetzt sagen? Das war das Leben seiner mehr als erwachsenen Mutter und ging ihn rein gar nichts an. Grit war ihm keine Rechenschaft schuldig. »Ãäh ⦠engen Kontakt habt«, beendete er verlegen den Satz.
Grit grinste ihn breit an. »Du bist doch nicht etwa eifersüchtig?« Sie sah ihm amüsiert in die Augen, und Falk wand sich unter ihrem Blick.
»Wenn du es genau wissen willst«, Grit senkte die Stimme, »hat Piet mich regelmäÃig in Hamburg besucht. Und wir â¦Â«
»Das geht mich gar nichts an, Mama!«, ging Falk schnell dazwischen.
Aber Grit fuhr unbeirrt fort: »â¦Â verstehen uns wirklich gut.« Sie lächelte glücklich.
Falk nahm ihre Hand und drückte sie. »Das freut mich für dich«, sagte er mit leicht belegter Stimme. Die Situation war etwas ungewohnt für ihn. Als sein Vater Harms die Familie verlassen hatte, war er vier Jahre alt gewesen, und bis er von zu Hause ausgezogen war, hatte seine Mutter keinen Freund gehabt. Und danach auch nicht â seines Wissens. Jetzt fiel Falk erst auf, wie naiv er war. Er hatte sich nie Gedanken darum gemacht,
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