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Mutter, wann stirbst du endlich?: Wenn die Pflege der kranken Eltern zur Zerreißprobe wird (German Edition)

Mutter, wann stirbst du endlich?: Wenn die Pflege der kranken Eltern zur Zerreißprobe wird (German Edition)

Titel: Mutter, wann stirbst du endlich?: Wenn die Pflege der kranken Eltern zur Zerreißprobe wird (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Martina Rosenberg
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Mein Vater beschwert sich über die hilflosen Ärzte, die sich ausschließlich um die Mutter kümmern würden. Er selbst sei anscheinend nur die Begleitung, meint er beleidigt. Andererseits macht meine Mutter mir Sorgen. Ihr gesundheitlicher Zustand verschlechtert sich rapide – so sehr, dass sie bei unserem heutigen Besuch im Rollstuhl sitzt.
    »Ich kann nicht mehr richtig laufen«, jammert meine Mutter.
    »So geht das den ganzen Tag«, lamentiert mein Vater. »Ich bin Luft hier. Die Ärzte interessieren sich überhaupt nicht mehr für mich.«
    Ich sehe meine Mutter an und frage: »Stimmt das?«
    Sie hingegen macht nur eine abfällige Handbewegung. »Ach was«, ist ihr einziger Kommentar.
    Trotzdem suche ich kurz vor unserer Rückfahrt das Gespräch mit dem Oberarzt. Er erklärt mir ausführlich die Behandlungsverläufe meiner Eltern. Mein Vater geht täglich zu einer Logopädin, die diverse Sprachübungen mit ihm macht. Meine Mutter besucht Gymnastik- und Physiotherapiestunden, bei denen sie das Gehen und die Koordination trainiert. Ich habe überhaupt nicht den Eindruck, dass mein Vater zu kurz kommt. Unvermittelt spreche ich ihn darauf an.
    »Ihr Vater neigt zu Depressionen. Es kann sein, dass er es so wahrnimmt. Wir werden darauf achten«, verspricht er mir.
    Ich bin beruhigt und habe das Gefühl, dass meine Eltern in guten Händen sind.
    Wie soll es weitergehen?
    Nach vier Wochen Aufenthalt kommen sie wieder nach Hause. Es ist auffällig, wie sehr meine Mutter abgebaut hat, insbesondere bei der Wortfindung. Hat sie vor Kurzem nur einige Begriffe nicht mehr gewusst, fehlt ihr jetzt schon im jedem Satz mindestens ein Wort. Mittlerweile kostet es viel Geduld, mit ihr ein längeres Gespräch zu führen. Nicht weil ich ungeduldig bin, sondern weil sie unter diesem Ausfall extrem leidet. Immer öfter bricht sie in Tränen aus und kann nicht verstehen, was ihr da widerfährt. Körperlich jedoch hat sie sich etwas erholt. Sie ist in der Lage, sich mithilfe des Rollators ein wenig zu bewegen.
    »Martina, was soll ich nur machen?«, fragt sie mich verzweifelt. Dabei tippt sie sich an den Kopf und weint. »Mir fallen die Worte einfach nicht mehr ein!« Ein Schluchzen lässt sie am ganzen Körper erzittern.
    Was soll ich nur tun? Ihr sagen, dass alles gut wird?
    Mittlerweile habe ich die Krankheit in ihrer ganzen Grausamkeit erfasst. Anfangs hat sich die Persönlichkeit meiner Mutter verändert. Sie ist egoistischer und rechthaberischer geworden. Dann hatte sie immer wieder Gleichgewichtsprobleme, die sie zum Fallen gebracht haben. Gleichzeitig fielen ihr die passenden Wörter nicht mehr ein.
    Im Laufe der Zeit ist die Kommunikation für sie immer schwieriger geworden. Auch das Hörverstehen, also das verstandene Wort zu erfassen, fällt ihr immer schwerer. Da hilft selbst lautes Sprechen nicht weiter. Ihr Gehirn stirbt Stück für Stück ab. Dafür sorgen sogenannte kleine Gehirnschläge, wie mir der Neurologe erklärte.
    Aber das kann ich ihr doch nicht sagen!
    Nur wie es mit ihr weitergehen wird, das könnten wir ja mal besprechen, überlege ich. Darum fasse ich mir ein Herz.
    »Mutti, ich will dich mal fragen, wie du dir die Zukunft vorstellst. Wie soll es langfristig weitergehen?«
    Meine Güte. Wie soll ich das nur ausdrücken? Ich kann ihr doch nicht so direkt ins Gesicht sagen, dass ich wissen möchte, von wem sie gepflegt werden will. Wie das klingt!
    Aber ich merke, dass es eigentlich egal ist, wie ich frage. Meine Mutter will sich mit dem Thema nicht auseinandersetzen. Sie fängt mal wieder unvermittelt an zu weinen, und es ist mir nicht möglich, dieses Gespräch fortzuführen. Das Einzige, was sie sagt, ist: »Es tut mir so leid für euch.« Dabei schluchzt sie immer lauter und wiederholt den Satz mehrmals.
    Nur gut, dass Vater nicht da ist, denke ich. Der hätte mir wahrscheinlich den Rest gegeben. Er hätte meine Mutter mit seinen zynischen Kommentaren bestimmt noch mehr zum Weinen gebracht. Auch er ist nicht in der Lage, mit mir oder mit seiner Frau über das auf uns zukommende Problem zu reden. Es scheint so, als ob sie beide nicht aussprechen wollten, was eigentlich nicht zu ignorieren ist.
    Meine Mutter ist dement, und wir sollten uns damit auseinandersetzen. Doch ich habe auch nicht den Mut zu weiteren Konfliktgesprächen.
    Die Stimmung wird nun Tag für Tag schlechter. Mittlerweile gehe ich jeden Abend nach dem Abendessen für eine Stunde zu meinen Eltern, die abendlichen Gespräche werden zum Ritual.

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