Mutter, wann stirbst du endlich?: Wenn die Pflege der kranken Eltern zur Zerreißprobe wird (German Edition)
wäre. Und überhaupt: Sie sei doch nicht verrückt. Und wer solle das eigentlich bezahlen? Aber noch viel schlimmer sei der Gedanke, eine fremde Person in ihre Wohnung zu lassen. Was denke die, wenn nicht aufgeräumt sei?
Ich erkläre ihnen, ich könnte doch erst einmal jemanden suchen, ihnen die Person unverbindlich vorstellen, und dann sähen wir weiter. Aber damit habe ich wenig Erfolg, und wir vertagen die Diskussion.
Der Schlaganfall
Am nächsten Tag, wir sind gerade mit dem Mittagessen fertig, ruft meine Mutter ganz aufgeregt ins Treppenhaus: »Maaartiiiina! Bitte, komm schnell!«
Ich nehme mal wieder zwei Stufen gleichzeitig und finde meinen Vater auf dem Boden im Schlafzimmer liegend. Seine Augen sind weit offen, sein Blick ist starr nach rechts oben gerichtet. Ich berühre ihn leicht und frage ihn: »Vati, was ist passiert?«
Aber er sieht mich nur mit großen Augen an, ohne zu antworten. Jens, der mir dicht gefolgt ist, läuft zum Telefon und ruft den Rettungsdienst. Kurze Zeit später trifft dieser ein, zwei Sanitäter tragen meinen Vater zum Rettungswagen. Noch immer sind seine Augen vor Schreck geweitet, und ich rufe ihm zu: »Mach dir keine Sorgen! Wir kommen gleich nach.«
Sobald er außerhalb unserer Sichtweite ist, laufen mir die Tränen über das Gesicht. Meine Mutter darf das nicht sehen, damit sie sich nicht so viel Sorgen macht, deswegen wende ich mich ab und verschwinde nach oben, um die Autoschlüssel zu holen.
Im Krankenhaus erfahren wir, dass er einen Schlaganfall hatte und es ihm bereits viel besser geht. Wir finden ihn auf der Station mit einer Infusion im Arm. Sein Blick ist wieder normal, nur mit dem Sprechen tut er sich sehr schwer. Der Arzt, der wenige Augenblicke nach uns ins Zimmer kommt, erklärt ihm, weshalb das so ist.
»Die Stimmbänder sind halbseitig gelähmt. Aber mit einem Logopäden, der mit Ihnen das Sprechen übt, kriegen Sie das wieder hin. Es war ein Glück für Sie, dass Sie so schnell gefunden wurden.«
Der Arzt erläutert auch den weiteren Behandlungsablauf. Nach einem mehrtägigen Krankenhausaufenthalt soll mein Vater drei Wochen in eine Rehabilitationsklinik. Meine Mutter macht sich Sorgen um ihn und äußert diese auf der Heimfahrt.
»Das ist schlimm für deinen Vater, dass er nicht mehr richtig sprechen kann«, erklärt sie mir.
Die Wut und den Frust in seinen Augen habe ich auch gesehen. Aber ich bin sicher, dass er es wieder lernen wird. So versuche ich, meine Mutter davon zu überzeugen, dass die modernen Behandlungsmethoden ihm ganz sicher helfen werden.
Da es ihr jedoch gesundheitlich auch nicht besonders gut geht, nehme ich noch am selben Tag Kontakt mit ihrem Arzt auf und schlage vor, beide zusammen in die Reha gehen zu lassen. Der Vorschlag löst überraschenderweise allgemeine Begeisterung aus, bei meinen Eltern sowie bei den Ärzten.
Tatsächlich finde ich direkt eine geeignete Klinik in der Umgebung. Eine Woche später bringen wir meine Eltern dorthin.
Auf der Heimfahrt wage ich, auszusprechen, was ich vorher nie gewagt habe: »Mein Gott! Bin ich froh, jetzt mal drei Wochen für mich zu haben!«
Sogleich bekomme ich die Quittung von der Rückbank. »Du bist gemein, Mama!«, empört sich meine Tochter, die ebenfalls dabei ist. »Oma und Opa können doch nichts dafür! Sie sind halt alt!«
»Ja, Mäuschen. Du hast ja recht. Aber die letzte Zeit war wirklich sehr anstrengend. Eine kleine Pause wird uns allen guttun«, erkläre ich ihr.
Sie zieht einen kleinen Schmollmund und schaut demonstrativ aus dem Fenster. Meine Verhaltensweise will sie nicht verstehen. Es geht ja um ihre heiß geliebten Großeltern. Das kann ich gut begreifen, und ich will sie auch nicht übermäßig mit meinen Problemen belasten. Andererseits bin ich der Meinung, sie sollte später mal verstehen, warum ich dies oder jenes entscheiden musste.
Jedes Wochenende besuchen wir die Eltern mit Kaffee und Kuchen. Mittlerweile haben wir auch wieder einen Hund im Haus, der uns dabei stets begleitet. Mein Vater liebt diesen Hund und geht gern ein paar Schritte mit uns spazieren. Jacko ist ein Huskymischling und läuft willig neben meinem Vater, der immer ein paar Hundeleckerli zur Hand hat.
Lena besteht darauf, dass wir Opa seinen Lieblingskuchen mitbringen. So backe ich auch heute wieder einen Marmorkuchen und richte das Geschirr für unseren Sonntagsbesuch her.
Zwei Stunden später sitzen wir bei den Eltern am gedeckten Tisch, doch die Stimmung ist an diesem Tag schlecht.
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