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Mutter, wann stirbst du endlich?: Wenn die Pflege der kranken Eltern zur Zerreißprobe wird (German Edition)

Mutter, wann stirbst du endlich?: Wenn die Pflege der kranken Eltern zur Zerreißprobe wird (German Edition)

Titel: Mutter, wann stirbst du endlich?: Wenn die Pflege der kranken Eltern zur Zerreißprobe wird (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Martina Rosenberg
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Jedes Mal, wenn ich vor der Tür stehe, atme ich tief ein und denke mir: Tu Gutes und bring etwas Glück in das Leben deiner Eltern.
    Wir reden viel, diskutieren die Welt und den Verlauf des Altwerdens. Mir scheint es wichtig, sie auf andere Gedanken zu bringen. All meine Bemühungen zielen darauf hin, Licht in ihr augenblicklich schwieriges Leben zu bringen.
    »Schaut doch«, sage ich, »bei all dem Leid, das euch widerfährt, muss man doch auch das Glück sehen, das ihr habt. Ihr habt ein schönes Haus, in dem ihr wohnen könnt. Ihr habt ausreichend Geld, mit dem ihr die Not lindern könnt. Niemals musstet ihr einen schweren Schicksalsschlag hinnehmen. All eure Kinder leben noch und sind anständige Menschen geworden.«
    Meine Mutter nickt mir zu, während mein Vater nur zornig erwidert: »Ja, welch Glück wir haben! Ich kann kaum mehr sprechen, ich sehe schlecht, und deine Mutter zittert den ganzen Tag und stolpert, wo es nur möglich ist.«
    Gut, dass ich mich durchgesetzt und eine Haushaltshilfe organisiert habe. Seit einer Woche kommt sie dreimal in der Woche und sorgt für Ordnung. Anfangs hat meine Mutter noch geschimpft, doch jetzt akzeptiert sie die Unterstützung, wenngleich auch etwas widerwillig.
    »Das Geld hätten wir uns sparen können«, zetert sie mal wieder. »Als ob ich das nicht noch könnte!«
    »Ach, Mutter, lass dir doch helfen«, erwidere ich. Freilich lassen wir keinen Arzttermin aus und versuchen, die bestmögliche Hilfe für meine Eltern zu erhalten. Im wöchentlichen Rhythmus wechseln wir zwischen Neurologe, Kardiologe, Hausarzt und HNO hin und her. Mal ist meine Mutter bei einem Termin, mal mein Vater. Da Jens oft im Büro im Dachgeschoss arbeitet, übernimmt er viele Fahrten zum Arzt. Er tut das ohne zu klagen, aber ich sehe schon, dass es auch ihn belastet. Ein Arztbesuch ist nicht das pure Vergnügen. Dort sitzen kranke Menschen, und selten wird einem vorab mitgeteilt, wie viel Zeit man einplanen muss. So braucht Jens eine Menge Geduld, und ich bin ihm sehr dankbar.
    Seit kurzer Zeit hat mein Vater massivere Sehprobleme. Die Diagnose bleibt nicht aus: Makuladegeneration. Ein Netzhautschaden, der zu starker Sehbehinderung bis zur Erblindung führt. So langsam entwickle ich mich zur medizinischen Fachfrau. Ich lese mich in die Thematik ein und suche technische Hilfsmittel für den Alltag heraus. So bekommt mein Vater eine Leselupe mit Licht, die einer meiner Brüder für ihn besorgt. Ich würde ihm auch gern einen großen Fernseher besorgen, aber er lehnt das ab. Brauche er nicht, meint er. Im Internet entdecke ich eine Uhr mit akustischer Zeitansage und bestelle sie. Auch das Telefon tausche ich aus gegen ein Telefon für Sehbehinderte. Es hat extra große Tasten, und man kann sich das Adressbuch vorlesen lassen.
    Erschwerend kommt hinzu, dass meine Mutter nicht mehr gut hört. Beim Akustiker erhält sie ein Hörgerät. Dazu sind viele Besuche beim Experten nötig, denn auch das beste Hörgerät muss angepasst werden. Vor der Demenzdiagnose habe ich allerdings nie darüber nachgedacht, dass das Hören nicht allein mit der Akustik zu tun hat. Nein, das Gehörte muss auch noch verstanden werden. Mit dem Hörverstehen hat meine Mutter jedoch extreme Probleme, die mit einem Hörgerät nicht zu lösen sind.
    Man kann sich kaum vorstellen, wie die Dialoge im Wohnzimmer meiner Eltern klingen. Meine Mutter, die kaum mit dem Hörgerät zurechtkommt, nestelt ständig an ihrem Ohr herum. Oft genug fällt das Hörgerät dann heraus, was sie aber gar nicht bemerkt. Nicht selten habe ich es aus der Sofaritze wieder hervorgeholt. »Ach, so was! Wie kommt das denn da hin?«, fragt meine Mutter dann immer ganz erstaunt.
    Mein Vater, der bedingt durch seine einseitig gelähmten Stimmbänder nicht mehr so laut reden kann, wiederholt täglich mindestens drei Mal: »Ich kann nicht mehr reden.«
    Meine Mutter erwidert dann: »Ich verstehe dich nicht. Kannst du nicht etwas lauter sprechen?«
    Täglich um 19:00 Uhr schalten meine Eltern den Fernseher an, um die Nachrichten zu sehen. Da wir unser Wohn- und Esszimmer direkt über dem meiner Eltern haben, dringen viele Geräusche zu uns nach oben. Mehr, als uns lieb sind. Es ist nicht zu überhören, dass die Lautstärke des Fernsehers unten von Tag zu Tag zunimmt.
    »Eigentlich können wir unseren Ton ausmachen«, zetere ich eines Abends, »deren Lautstärke reicht für das ganze Haus.«
    Wütend stehe ich von der Couch auf und gehe nach unten. Jetzt reicht’s

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