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Mutter, wann stirbst du endlich?: Wenn die Pflege der kranken Eltern zur Zerreißprobe wird (German Edition)

Mutter, wann stirbst du endlich?: Wenn die Pflege der kranken Eltern zur Zerreißprobe wird (German Edition)

Titel: Mutter, wann stirbst du endlich?: Wenn die Pflege der kranken Eltern zur Zerreißprobe wird (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Martina Rosenberg
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mir. Mein Vater sitzt mit beiden Händen an den Ohren, die Ellenbogen auf die Knie gestützt, in seinem Sessel und starrt auf den Boden. Völlig unbeeindruckt hingegen sitzt meine Mutter neben ihm und konzentriert sich auf die Nachrichtensprecherin.
    »Findet ihr das nicht etwas zu laut?«, überbrülle ich den Fernseher.
    »Ich weiß nicht«, meint meine Mutter, »die Nachrichtensprecher haben früher viel deutlicher gesprochen. Da waren sie noch bestens ausgebildet. Jetzt nuscheln die immer so.«
    Tatsächlich glaubt sie, was sie da sagt. Ob dieser skurrilen Situation entfährt mir ein Lachen, was meine Mutter ärgerlich stimmt.
    »Lach du nur«, erwidert sie beleidigt.
    »Das kannst du vergessen«, schnauzt mein Vater. »Die hört eh nicht zu!«
    »Mutti, ich glaube, du hörst etwas schlecht. Warum benutzt du nicht den Kopfhörer, den wir dir gekauft haben?«
    »Brauche ich nicht. Ich höre ja gut.«
    Ach ja, richtig. Es liegt ja nicht an ihr. Vater indessen schüttelt immer noch entnervt den Kopf und schreit: »Es sind immer die anderen, meint deine Mutter!«
    Auweia. Die Stimmung ist wieder prima, und ich muss die Situation irgendwie entschärfen. Eigentlich hätte ich ja auch gehen können, aber ich fühle mich für das Schicksal der beiden verantwortlich. Ein bisschen ist es mir auch in die Wiege gelegt worden, dass ich immer und überall für Harmonie sorgen will. Wie sonst ist es zu erklären, dass ich mich ständig einmische? Vermutlich würde ich mich auch einmischen, wenn sich zwei Leute vor mir auf der Straße lauthals streiten würden. Es ist für mich nahezu unmöglich, die Situation zu ignorieren.
    Kurzerhand schlage ich vor, den Fernseher auszumachen, und wir unterhalten uns eine Weile. Meine Mutter hat große Mühe, die Wörter zu finden, und das Gespräch wird immer zäher. Es dauert nicht lange, und sie bricht mal wieder in Tränen aus.
    »Was ist nur los mit mir? Mir fallen die Wörter nicht mehr ein. Das gibt’s doch gar nicht!«
    Ich nehme sie in den Arm und suche nach tröstenden Worten, die mir einfach nicht einfallen wollen. Alles erscheint mir falsch, denn es gibt nicht wirklich Trost für sie. Nichts wird mehr gut, alles wird nur noch schlimmer werden!
    So sitzen wir ohne Worte nebeneinander. Sie weint, mein Vater schüttelt immer noch den Kopf, und ich habe keine Ahnung, was ich tun kann. Ausweglos ist das, geht es mir durch den Kopf.
    Nachdem sich die Szenen fast jeden Abend wiederholen, bin ich fast nicht mehr fähig, mitzufühlen. Wie ein Roboter gehe ich in die Wohnung und drücke auf den »Gute-Laune-verbreiten«-Knopf.
    Ich fühle mich total leer. Alles, was ich sage, wiederholt sich, die Szenen dazu wiederholen sich, die Reaktionen der Eltern wiederholen sich. Es kommt mir wie eine Endlosschleife vor. Meine Worte, meine Ratschläge oder gar Verbesserungsvorschläge verpuffen im Alltagsfrust meiner Eltern. Jeden Tag reden wir von den Ärzten, den Krankheiten meiner Eltern, von der Unzufriedenheit, die sich breitmacht. Da bleibt kaum noch Platz für schöne Dinge.
    Verlorener Lebensmut
    Meine Gefühle den Eltern gegenüber verändern sich. Als meine Mutter zum ersten Mal fragt: »Wann darf ich endlich sterben? Wieso muss ich immer noch leben?«, reagiere ich mit Bestürzung. »Ach, Mutti, so leicht stirbt es sich nicht. Dir geht es doch noch ganz gut«, sage ich.
    Inzwischen redet meine Mutter jedoch von nichts anderem mehr. Ich versuche, meinen Eltern die Sorgen und Nöte durch die Gespräche etwas zu nehmen, bemerke allerdings, wie ich immer weniger auf ihre Aussagen reagiere. Eine erschreckende Gleichgültigkeit nimmt schleichend von mir Besitz. War ich anfangs noch entsetzt über den Todeswunsch meiner Mutter, über die depressiven Schübe meines Vaters und das Geschimpfe über seine Frau, reagiere ich zunehmend routiniert. Ich bleibe freundlich, höflich rational, aber ich lasse es nicht mehr an mich ran. Ich kann es selbst nicht glauben, doch das ständige Gerede von Sterben, Tod und Krankheit stumpft mich ab und verliert immer mehr an Wirkung.
    Es ist ein Jahr vergangen seit der Diagnose. Meine Mutter ist jetzt achtzig, und sie ist sich sicher, ihren nächsten Geburtstag nicht mehr zu erleben. Sie ist besessen von dem Gedanken und erzählt all ihren Besuchern davon. Für meinen Vater ist es grausam, weil er überhaupt keine Todessehnsucht verspürt. Er hadert zwar mit seinem Schicksal, hat aber noch Wünsche und Pläne.
    Immer wieder sprechen wir über mögliche Urlaubsziele.

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