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Mutterliebst (German Edition)

Mutterliebst (German Edition)

Titel: Mutterliebst (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Antoinette van Heugten
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Klinke.
    „Danielle, bitte hören Sie …“
    „Nein, das werde ich mir nicht anhören, das nicht“, faucht sie. Sie findet den Griff, reißt die Tür auf, stürmt in den Gang hinaus, sieht die Damentoilette und schließt sich ein. Sie umklammert das weiße Waschbecken und sinkt auf die Knie. Als sie die Stirn gegen das kalte Porzellan presst, fühlt es sich beinahe rein und heilig an. Ihr Verstand befindet sich in wildem Aufruhr. Wenn sie glaubt, was diese Leute sagen, dann ist das große schwarze Loch, das sie in ihren düstersten Momenten zu verschlingen drohte, Wirklichkeit geworden. Wenn sie glaubt, was diese Leute sagen, dann hat Max überhaupt kein Leben vor sich.
    Für einen unglaublichen, unerträglichen Augenblick lässt sie diese Vorstellung zu. Schreckliche Gefühle durchströmen sie wie glühend heiße Lava – eine Totenklage, die dunkel und krank aus ihrer Seele bricht. Sie zwingt sich, aufzustehen und die Frau mit der schwarzen Wimperntusche unter den Augen anzustarren. Dieses fleckige Gesicht, das Angst und Wissen so hässlich machen, diese … Mutter eines verrückten Kindes. Mutter eines Kindes ohne Hoffnung. Sie verflucht Gott für das wunderschöne blaue Morgenlicht, das er ihr heute geschenkt hat. Sie verflucht ihn für das, was er ihrem Jungen angetan hat.
    „Hör auf“, zischt sie. Sie muss nachdenken, sich konzentrieren, eine Lösung finden. Rasch spritzt sie sich kaltes Wasser ins Gesicht und versucht zu atmen, aber psychiatrische Kliniken sind wie ein Vakuum. Man darf weder frische Luft atmen noch die wärmenden Strahlen der Sonne auf dem Gesicht fühlen. Man hält sich an einem Ort auf, an dem keine anderen Personen sind. Ein Ort, an dem man jede Minute kontrolliert werden kann. Wo man überwacht und sediert wird – weggesperrt von normalen Menschen und der ganzen normalen Welt. Ein Ort, der immer weiß gestrichen ist. Die Farbe der Leere. Der reinen Weste. Ein Ort, der dich reduziert, der den kranken Teil von dir ausradiert und mit ihm den Teil, der dich menschlich macht und einzigartig – den Teil, der dir erlaubt, Freude zu fühlen und im Gegenzug Freude zu schenken. Eine ruhige, anspruchslose Welt, hermetisch abgeriegelt durch einen dicken schwarzen umlaufenden Ring. Ein Ort, der dich nicht vor den Gefahren der Welt beschützt, sondern die Welt vor den Gefahren durch dich. Ein Ort, an dem du in den Spiegel schauen und die Wahrheit sehen kannst – eine Wahrheit, die dich für den Rest deines Lebens einsperrt.
    Sie umklammert erneut den Rand des Waschbeckens und starrt noch einmal in den Spiegel. Sie wird dem nicht nachgeben. Sie kann es nicht. Max braucht sie.
    Doch der Spiegel sagt ihr, dass es keinen Weg zurück gibt. Keinen Weg zurück zu der Zeit, als sie noch glaubte, dass jemand die Teile neu zusammensetzen und es richten könne. Als sie trotz aller Beteuerungen, dass es unmöglich sei, glaubte, einen Weg zu finden. Keinen Weg zurück zu der perfekten, weichen Haut seines kleinen, geliebten Körpers oder der Freude in seinen Augen, als sie ihn das erste Mal in den Armen hielt, sein vollkommenes zahnloses Lächeln, seine offensichtlich perfekte Unschuld – grenzenlos in ihren Möglichkeiten. Als ihr Spiegelbild vor ihren Augen verschwimmt, entschwinden auch die Frau, die sie ist, und die Quintessenz dieses Kindes. Das Baby ist zerschmettert, zersplittert in der Dunkelheit. Bedeck die Scherben mit einem schwarzen Tuch.
    In der Familie hat es einen Todesfall gegeben.

13. KAPITEL
    Danielle erwacht aus einem tiefen und dennoch unnützen Schlaf – er ist von der Sorte, die keine Erholung bringt, sondern nur groteske Bilder und bruchstückhafte Erlebnisse an die Oberfläche holt, die weder Zusammenhang noch Ziel haben. Als sie die Augen aufschlägt, pocht ihr Herz wie wild – wie bei einem Vogel, der vom Himmel schießt. Sie spürt eine formlose Panik und fragt sich benommen, ob sie vielleicht von jemandem gejagt wird. Die Panik wird rasch von blankem Entsetzen verdrängt. Die Ärzte glauben, dass Max unheilbar psychisch krank ist. Ihr erster Impuls am gestrigen Tag war, zu ihm zu eilen und ihn in die Arme zu schließen. Aber das kann sie nicht – noch nicht. Wenn Max ihr in die Augen blickt, weiß er sofort, dass das, was er befürchtet, wahr geworden ist – dass auch sie ihn für verrückt hält. Sie will nicht, dass er jemals dieses Gefühl hat.
    Den Großteil der Nacht hat sie wach gelegen und sich gequält, indem sie jedes Wort noch einmal durchgegangen ist, das

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