Mutterliebst (German Edition)
damit die Patienten schlafen können, verursacht ihr Gänsehaut. Es ist, als würde sie das düstere Wohnzimmer eines Psychopathen betreten, um dort Kontakt mit lang erkalteten Körpern aufzunehmen – eine vergebliche Suche nach verlorenen Seelen. Rasch scannt sie den stillen Gang, späht in ein dunkles Büro, stellt ihre Taschenlampe auf dem Schreibtisch ab und bedeckt sie mit ihrem roten Seidenschal. Mit einem sanften Klick taucht die Taschenlampe den Raum in ein weiches, rosafarbenes Licht. Büroartikel stapeln sich in einer Ecke, Lehrbücher stehen militärisch aufgereiht in verschiedenen Metallregalen.
Danielle setzt sich vor den Computermonitor – ihre Nerven sind bis zum Zerreißen gespannt – und beobachtet, wie ein weißes „M“ auf dem Bildschirm erscheint. Nach ein paar Sekunden baut sich ein Fenster auf. „Psychiatrische Klinik Maitland.“ Dann ein weiteres, kleineres Fenster. „Passwort, bitte.“ Der Cursor blinkt wartend in der leeren Zeile. Danielle loggt sich mühelos ins System ein. Als Marianne sich über die Sicherheitsvorkehrungen in Maitland geäußert hat – sie war unglücklich über deren Laxheit –, war Danielle überrascht zu hören, dass die Schwestern in der Fountainview-Station das tägliche Passwort unbekümmert auf einen Postit-Zettel kritzeln, den sie dann unter den Empfangstresen an der Schwesternstation kleben. Marianne hatte verächtlich geschnaubt, als sie ausführte, wie sehr Maitland sich rühmt, ein unantastbares Sicherheitssystem zu besitzen. Sie behauptete, dass ein großes städtisches Krankenhaus mit einer solchen Fahrlässigkeit niemals durchkommen würde.
Während sie das Passwort eintippt, lächelt Danielle grimmig. Sie ist sich sicher, dass die Verwaltungsangestellten der Klinik sich nur Gedanken darum machen, ob die Mitarbeiter die Sicherheitsbestimmungen verletzen, nicht die Patienten. Sicherlich sind sie nie auf die Idee gekommen, dass die Mutter eines Patienten sich ins System einhacken könnte.
Während sie mehrfach auf die Tastatur tippt, versucht sie, die Folgen, die ihr drohen, falls sie erwischt wird, zu ignorieren. Sie ist eine Anwältin, die kriminelle Handlungen begeht (darunter so unbedeutende Vergehen wie Einbruch und Computer-Hacking), und das im vollen Bewusstsein der rechtlichen Konsequenzen. Wenn ihre Kanzlei das herausfindet, ist die Partnerschaft das Geringste ihrer Probleme. Bei einer Verurteilung ist sie ihre Lizenz sofort los. Sie wäre erledigt. Niemals mehr würde sie einen Weg finden, Max’ Behandlung zu bezahlen. Diese beängstigenden Gedanken schüttelt sie ab, während ihre Uhr sie warnt, dass sie nur noch zehn Minuten hat, um ihre Aufgabe abzuschließen – vorausgesetzt, das hektische Liebesspiel im Wald erschüttert immer noch die Bäume.
Ihre Finger spielen mit der Tastatur wie mit Kastagnetten. Stichworte flackern in wilder Abfolge auf dem Bildschirm auf, während sie sich ihren Weg hindurchbahnt wie ein Sumpfbewohner durch die Feuchtgebiete von Louisiana. Das blaue Leuchten des Monitors taucht sie in violettes Licht, und der kleine Raum ist mittlerweile nestwarm. Was sie im Moment auf dem Bildschirm sieht, wirkt wie ein tägliches Protokoll. Max’ Name, Station und Zimmernummer stehen ganz oben, genauso wie seine Patientenidentifizierungsnummer und der Tag seiner Einlieferung. Darunter befinden sich maschinengeschriebene Einträge, die, so vermutet sie, aus handschriftlichen Notizen der Ärzte, Schwestern und Pfleger transkribiert wurden. Sie erkennt die Initialen von Fastow, Reyes-Moreno und Schwester Kreng. Aber auch unbekannte Namen flimmern vor ihr auf – wahrscheinlich weitere Mitglieder von Max’ „Team“. Danielle liest den ersten Eintrag, setzt sich abrupt zurück und reibt sich die Augen. Irgendetwas stimmt hier ganz und gar nicht. Sie überprüft den Namen am oberen Rand der Seite. Max Parkman. Sie liest es noch einmal. Dann ein weiteres Mal.
Tag 6 Patient gewalttätig, aggressiv gegenüber Personal. Bedrohung. Patient zeigte physische Gewalt, musste angeschnallt werden; fahren mit neuer Medikation fort; paranoide Wahnvorstellungen; Psychose; 20 mg Valium viermal täglich. Fokus auf Mutter-Sohn-Beziehung/Wut/Leugnung.
JRF
Danielle wartet, bis sich der Schock etwas gelegt hat. „Paranoide Wahnvorstellungen? Psychose?“ Wie konnten sie schon nach sechs Tagen dieses Albtraums entscheiden, dass Max psychotisch ist? Während ihrer täglichen Besuche bei ihm hat sie keinerlei Hinweis darauf gesehen. Und was
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