Mutterliebst (German Edition)
die für die schizoaffektive Variante typisch sind.“ Sie deutet auf einen Bücherberg auf ihrem Schreibtisch. „Ich habe einige Artikel für Sie herausgesucht, die Ihnen helfen werden, die Herausforderungen besser zu verstehen, die Max meistern muss. Kurz gesagt erreicht der Ausbruch der schizoaffektiven Störung ihren Höhepunkt während der Pubertät und dem jungen Erwachsenenalter. Die schweren Brüche in Max’ sozialer und emotionaler Entwicklung – verursacht durch seine Asperger-Erkrankung – werden ihn sein ganzes Leben lang begleiten. Da er nicht nur für sich selbst, sondern auch für andere eine Gefahr darstellt, sind häufige, unfreiwillige Klinikaufenthalte unvermeidlich. Leider zeigt Max wirklich alle Symptome, die im diagnostischen und statistischen Handbuch psychischer Störungen dazu aufgeführt sind – Wahnvorstellungen, Halluzinationen, häufig gestörte Sprache, katatonisches Verhalten, Anhedonie, Antriebslosigkeit …“
Danielle zwingt sich, zu atmen. „Das ist verrückt! Er hatte nie auch nur eines der Symptome, die Sie beschreiben …“
Reyes-Moreno schüttelt den Kopf. „Vielleicht nicht, wenn er mit Ihnen zusammen ist. Unsere täglichen Aufzeichnungen dokumentieren seine Symptome jedoch ganz eindeutig. Einige der Anzeichen müssen Sie selbst beobachtet haben. Allerdings verschließen Eltern häufig die Augen vor der Wahrheit, bis das Kind, wie in diesem Fall, endgültig zusammenbricht.“
„Ich verschließe meine Augen vor gar nichts.“ Danielle spürt, wie das Blut in ihre Wangen schießt. „Sind Sie sicher, dass diese Symptome nicht die Folge der Überdosis sind, die Sie ihm verabreicht haben?“
„Nein.“ Reyes-Moreno schüttelt den Kopf. „Diese Probleme sind weitaus tiefgreifender und müssen schon seit Längerem bestehen.
„Was wir nicht wissen, ist, ob es in Ihrer Familie oder in der von Max’ Vater bereits Fälle von Psychosen oder Gemütsstörungen gegeben hat.“ Reyes-Morenos Mund bewegt sich immer weiter – genauso wie bei einer dieser japanischen Zeichentrickfiguren, wo der rote Mund wie der einer realen Person aussieht, während der Rest des Körpers die steife, schlecht gezeichnete Animation eines Menschen ist und die Worte erst herauskommen, nachdem die Lippen sich schon längst nicht mehr bewegen. Danielle versucht zu begreifen, was die Ärztin sagt, aber ihre Gedanken sind ein einziger stummer, ohrenbetäubender Schrei.
„Wie ich bereits erwähnte, wird Max angesichts der psychotischen Schübe und gewalttätigen Vorfälle, die wir bei ihm beobachtet haben, während seines gesamten Lebens immer wieder längere Klinikaufenthalte benötigen. Ich muss Ihnen leider mitteilen, dass sich Max’ Gedächtnis und seine Fähigkeit, die Realität wahrzunehmen, mit jedem weiteren Schub verschlechtern werden, was unglücklicherweise die Schwere seiner Schizophrenie noch verstärken wird. Es wird ihm nicht möglich sein, einen Beruf auszuüben oder unabhängig zu leben. Wir müssen außerdem ständig wachsam sein, was weitere mögliche Suizidversuche in der Zukunft anbelangt. Leider ist Max vollkommen klar, dass seine Psyche gestört ist. Wir gehen davon aus, dass diese Erkenntnis ihn dazu geführt hat, den Selbstmord als einzig möglichen Ausweg zu betrachten.“ Sie schaut Danielle an. Diesmal liegt echte Traurigkeit in ihrem Blick. „Deshalb empfehlen wir, dass Max mindestens für ein Jahr, vielleicht auch länger, auf unserer Langzeitstation bleibt. Er wird eine intensive Psychotherapie bekommen, damit er seine Erkrankung zu akzeptieren lernt.“
Danielle bemüht sich, die ganze Tragweite des Gesagten zu erfassen, doch es ist so, als versuche sie, die Nachricht zu verstehen, dass sie Krebs im Endstadium hat. Ihr Verstand ist vollkommen erstarrt, nicht zugänglich. Sie schüttelt den Kopf.
„Danielle“, murmelt Reyes-Moreno sanft und streckt die Hand aus. „Bitte lassen Sie uns Ihnen helfen, damit fertig zu werden.“
Sie zuckt zurück und starrt die Ärztin an. „Lassen Sie mich in Ruhe. Ich glaube das nicht. Und ich werde es nie glauben.“
Reyes-Morenos Stimme ist mitfühlend, aber unerbittlich. „… so hart im ersten Moment … furchtbar schwer in seinem Fall … die Möglichkeit, ihn dauerhaft in der Klinik zu behalten … einige Medikamente … Geodon, Seroquel … neue Elektroschocktherapien …“
Danielle hat nur einen einzigen Gedanken – dass sie hier raus muss. Sie rennt zur Tür, kann die Klinke aber nicht finden. Sie braucht die
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