Mutterschuldgefuehl
forsche ich. Jetzt lebt mein Kind noch in einer Hülle, sprich in mir (auch wenn sie offenbar weniger schützt, als ich dachte), aber bald wird es direkt mit dieser kinderfeindlichen Welt in Kontakt kommen. Ein Gedanke, bei dem mir mulmig wird. Gesunde Nahrung, frische Luft, Ruhe, sauberes Wasser, viel Grün und Sauerstoff - meine Ratgeber heben mahnend den Finger. Das wird das Kind brauchen, und zwar rund um die Uhr. Ich aber wohne in einer GroÃstadt, in einer Etagenwohnung, habe nur einen kleinen Balkon. Jeden Tag lese ich in der Zeitung über neue Umweltkatastrophen, Giftstoffe in der Luft, im Wasser, im Essen, in den Babygläschen, im Spielzeug, in den Windeln und im Kinderwagen. Wie soll ich meinem Kind die Idylle und den Schutz bieten, der in den Ratgebern so dringlich gefordert wird, wenn wir offenbar in einer Art Sondermülldeponie leben?
Es ist mir unerklärlich, wie wir Erwachsenen überhaupt heranwachsen konnten. Meine Eltern lieÃen uns damals vergnügt bis über beide Ohren in gewaltigen Mengen von Schaum in der Badewanne planschen und haben sich nie darüber Gedanken gemacht, warum es so schön lustig blubbert.
Mit derlei unbefangener Lebenslust ist jetzt Schluss. Sicherheit ist angesagt. Alles wird geplant. Baden ja, aber nur in klarem Wasser in einem durchsichtigen Plastikeimer, der dem Baby die Geborgenheit einer Fruchtblase gibt und mir den vollen Durchblick. Man weià ja nie, was passiert. Alles birgt Risiken, alles muss genau bedacht werden, ja, selbst die Wahl der Wandfarbe für das Kinderzimmer. Nicht nur wegen der Inhaltsstoffe, sondern auch wegen der Farbe an sich. Farben haben Wirkung auf die Psyche. Da kann man nicht nach Lust und Laune streichen. Da muss man sich einarbeiten.
Autositze, Kinderbettchen, Wickeltische, Babywannen und Windeln - nichts kann ich einfach mal so locker erstehen. In meinen Schriften herrscht Konsens: Wer die Mutterschaft ernst nimmt und seinem Kind etwas Gutes tun will, der prüft alles auf Herz und Nieren. Nichts sollte dem Zufall überlassen bleiben. Nur das Beste und Getestete ist gerade gut genug, ob Nahrung, Pflegeprodukte, Schnuller, Kleidung, Kinderwagen, Möbel oder Spielzeug. Es peitscht meinen Blutdruck hoch, wenn ich nur an die nötige Babyausstattung denke. Es gibt zwar lange Inventarlisten in den Ratgebern, sodass ich mir nicht alleine überlegen muss, was ein Baby brauchen könnte, aber natürlich steht in ihnen nichts über die Qualität der verschiedenen Marken und Anbieter.
Und so mache ich mich an die Arbeit. Beispiel Spielzeug: Während meine Mutter früher etwas für mich kaufte, weil es so hübsch bunt war und Spaà versprach, kaufe ich, weil es eben nicht bunt, sondern ökologisch hergestellt und pädagogisch wertvoll ist. Um das zu erkunden, studiere ich erstens Spielzeugkataloge, die neben jeder Rassel und jedem Baustein minutiös angeben, welche motorischen und sonstigen Fähigkeiten ein Baby mit diesem wundervollen Objekt trainieren kann, durchforste zweitens Stiftung-Warentest- und
Ãko-Test-Hefte, ob die aus dem Katalog erwählten Produkte auch getestet und unbedenklich sind. Und drittens bestelle ich nach eingehender Suche nach dem günstigsten Preis im Internet.
Es ist ein Volkssport, gerade unter Müttern, den besten Preis zu ergattern. Die Mutter, die mehr bezahlt als andere, gilt als naiv. Schnell machen Adressen die Runde für Geschäfte, die als »Geheimtipp« gehandelt werden. Da fahren wir schon mal 100 Kilometer in die Pampa und schieben uns in Gruppen von werdenden Müttern und ihrem Begleitpersonal durch die Gänge dieser Babyfachmärkte mit dem Ambiente von Lagerhallen und reiÃen uns gegenseitig die begehrten Waren aus den Händen. Wir türmen Windeln und Eimereinlagen für die nächsten drei Jahre in unsere Einkaufswagen, Babystuhl, Badewannen, Wickelunterlage, Autositze für das nächste Jahrzehnt und natürlich viele, viele Errungenschaften, die ein Ãberleben des Kindes in unserer Wohnung vereinfachen sollen: Treppengitter, Kindersicherungen für Steckdosen, Herdschutzgitter, Fenster- und Schrankschlösser, Nachtleuchten und Babyfon.
Meine Eltern staunen, wie findig mein Mann und ich schon jetzt den Kühlschrank, Schubladen, Fenster und Putzschränke verriegeln können. Wir machen das schon jetzt, damit wir später im Eifer des Gefechts nichts übersehen. Meine Eltern waren früher gar nicht
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