Mutterschuldgefuehl
anderen auf Krankenhaus geeicht. 98 Prozent aller Kinder kommen hier zur Welt.
Krankenhaus ist natürlich nicht gleich Krankenhaus. Bei einem so komplizierten Eingriff wäre es verantwortungslos, einfach in das nächste Krankenhaus zu gehen. Wie verheerend ein solch naives Vorgehen enden kann, habe ich ja beim Geburtsvorbereitungskurs gesehen. Nein, wir müssen uns erkundigen. Wieder mal. Im Freundes- und Bekanntenkreis herrscht rege Diskussion.
Â
»Natürlich musst du in ein Krankenhaus mit Kinderklinik gehen. Alles andere ist doch komplett verantwortungslos! Was da alles passieren kann!«
Â
Oder:
»Wichtig ist, dass du dich in dem Raum wohlfühlst. Das Krankenhaus XY hat einen so kleinen KreiÃsaal, da hast du das Gefühl, mit dem Po drauÃen zu hängen. Da kannst du dich gar nicht richtig entspannen.«
Â
Oder:
»Willst du dein Leben lang mit hässlichen Narben rumlaufen? Im Krankenhaus XY arbeitet Doktor Blabla. Der kann nähen, sag ich dir! Er ist ein echter Künstler. Man sieht die Narbe fast gar nicht mehr! Siehst du?«
Â
Was mich betrifft, so bin ich argwöhnisch bei hohen Damm-und Kaiserschnittraten. Ich lasse ganz und gar nicht gerne an mir schnippeln. So hilft es nichts - ich muss intensiv Klinikführer studieren, und wir müssen uns vor Ort ein eigenes Bild von der Situation machen und die Ãrzte ins Visier nehmen.
Also traben mein Mann und ich in ganzen Horden dickbäuchiger Frauen mit oder ohne Partner durch die KreiÃsäle der ansässigen Krankenhäuser auf der Suche nach dem optimalen Ort der Niederkunft. Die Kliniken tun in Zeiten niedriger Geburtenraten alles, um die Führungen so vielseitig wie möglich zu gestalten. Mancher Oberarzt entdeckt hier seine Liebe für schillernde Anekdoten und beschreibt seiner atemlosen Zuhörerschaft schaurig blutige Details der aufregendsten und längsten Geburten seiner Amtszeit. Wir erfahren alles über Durchschnittsgewichte der Neugeborenen, Kaiserschnittraten und Betäubungsmethoden der beschäftigten Ãrzte, über Aromatherapien, Homöopathie und Akupunktur. Wenn wir Glück haben, wird der Vortragsraum verdunkelt, der Videorekorder angeworfen, und wir dürfen eine Geburt im betreffenden Haus quasi live miterleben. Etwas benommen werden wir dann an den Ort des Geschehens geführt - den KreiÃsaal. Der garstige Name sagte nichts aus über seinen adretten Träger. Wir potenziellen Kunden sehen uns zartrosa, blauen oder orangen Räumen mit ansprechenden französischen Betten gegenüber, riesigen Badewannen, luftigen Volants, Sternenhimmel aus romantischen Lichterketten und den modernen Errungenschaften der Entbindungstechnologie: Gebärhocker, Seile von der Decke und Sitzbälle.
Wenn wir dann noch mit der Küche und dem Ambiente des Familienzimmers zufrieden sind, steht einem erfolgreichen Vertragsabschluss nichts mehr entgegen. Ich finde die Aussicht aus dem siebten Stock so schön. Wir melden uns an.
Das groÃe Finale: Test bestanden?
Zum Kummer aller Beteiligten ist die Vorstellung von der perfekt geplanten Geburt nur eine schöne Illusion, weil erstens das Kind im Bauch seinen eigenen Zeitplan hat und zweitens Ãrzte beteiligt sind. Errechnete Geburtstermine dienen nur dazu, den Countdown zu starten. Mediziner sind
nur zu einem bestimmten Grade bereit, sich den Launen von Mutter und Kind anzupassen - spätestens zehn Tage nach Adam Riese ist heutzutage Schluss mit lustig, dann kommt die Schwangere an den Wehentropf, auf dass sie endlich Mutter werde. Dieser Wehentropf ist quasi das moderne Foltergerät des KreiÃsaales, denn künstlich erzeugte Wehen sind ungefähr so kontrollierbar wie ein Hai im Aquarium. Im Grunde gutmütige Schwangere werden unter dem Einfluss des Wehenmedikaments erstaunlich wild.
Es wäre aber unfair, sämtliche KreiÃsaalanekdoten mit wehenfördernden Mittelchen zu erklären. Frauen sind durchaus von selbst in der Lage, martialisch zu brüllen, sich wie Tiger zu gebärden und alle Anwesenden zu hassen. Sie können aber auch sanft und leise Leben schenken.
Nun frage ich mich natürlich: Was bringt den Unterschied?
Damit bin ich bei einem sehr heiklen Thema: Wie bekomme ich mein Kind und was sagt das über mich aus? Ohne Frage ist die Geburt eines Kindes grundsätzlich für alle werdenden Mütter eine schweiÃtreibende und beeindruckende Angelegenheit. Eine
Weitere Kostenlose Bücher