Mutterschuldgefuehl
auf den Gedanken gekommen, die Wohnung in einen Hochsicherheitstrakt zu verwandeln. Natürlich war es nicht schön, wenn wir Kinder uns verletzten, doch dann passten wir das nächste Mal eben besser auf. Oma und Opa in spe sind schwer beeindruckt von unseren Vorkehrungen, ein Kind im Haus zu halten, doch sind sie sich nicht sicher, ob sie auch so leben möchten.
Der Mercedes unter den Kinderwagen
Die Königsdisziplin unter den Vorbereitungen ist natürlich der Kinderwagen. Schadstoffe sind nur die eine Seite der Medaille (2009 konnte hier von Stiftung Warentest kein einziges
»gut« vergeben werden!), die andere Seite ist das Image, und nichts ist hier so verräterisch wie dieses Ding auf vier Rädern. Wer sich mit Schwangeren und Müttern unterhält, merkt schnell: Der Kinderwagen ist das Aushängeschild der Mutterschaft. Am Kinderwagen sollt ihr sie erkennen. Er ist das Statussymbol schlechthin. Viele Mütter sind zwar in den ersten Monaten in mehr oder weniger einheitlicher Kleidung unterwegs (bequem und leicht zu reinigen), aber am Kinderwagen sieht man, welchen Geistes und Geldbeutels eine Mutter ist. Ein teures, qualitativ hochwertiges Gefährt zeigt: Diese Mutter ist bereit, in ihre ernste Aufgabe zu investieren. Sie hat Geld. Sie gehört zur Mutter-Elite.
Ich frage eine alte Freundin und Mutter einer 12-Jährigen, um mir im neuen Bekanntenkreis unter Müttern keine BlöÃe zu geben:
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»Welchen Kinderwagen würdest du empfehlen?«
Meine Freundin lächelt wissend.
»Wenn ich du wäre, würde ich nur den XY nehmen. Das ist der Mercedes unter den Kinderwagen. Alles andere ist nur zweite Wahl.«
Sie gluckst glücklich.
»Ich hatte den auch. Du hättest mal sehen sollen, wie die anderen geguckt haben.«
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Ich schaue auf meine Freundin. Sie sieht immer noch zufrieden aus, nach all den Jahren. Als sie mir den Preis für diese Mutti-Droge nennt, bin ich zwar fassungslos, was man für einen Korb auf vier Rädern ausgeben kann, auf der anderen Seite bin ich noch nie so billig an einen Mercedes gekommen. Die Sache ist ein Nachdenken wert.
Also informiere ich mich gründlich und rechne nach, ob ich mir ein gutes Image leisten kann. Zweitens muss ich mich einarbeiten in die technischen Finessen dieses Geräts. Schon die Aufzählung ist ermüdend. Haha, das war einmal - Kinderwagen nach Farbe aussuchen! Will ich schwenkbare Vorderräder oder Schieber, Luftkammerräder mit Tiefbettfelge oder lieber auch mit Niederquerschnitt? Will ich einen abnehmbaren
oder einen umdrehbaren Sitz? Höchsten Sonnen- und Windschutz oder einfach nur ein Schirmchen? Eine Softtasche oder eine Gestelltasche? Brauche ich einen Offroader oder einen Cityshopper? Am Ende meiner sorgfältigen Studien passt der penibel ausgesuchte fahrbare Babyuntersatz nicht in den Autokofferraum. Und die Suche nach dem passenden Pkw geht los â¦
Ich bin bald alles andere als eine stets ausgeglichene Schwangere mit mütterlich-gütigen Augen. Arztbesuche, Ratgeber, Recherchen, Einkäufe und Hormone sorgen für ein turbulentes Gemüts- und Beziehungsleben, ganz zu schweigen von interessanten Gelüsten nach sauren Gurken & Co. Ich neige zu spontanen Wutanfällen und liege gerne auch mal heulend in der Ecke. In den Broschüren vom Arzt und auf den Fotos der Schwangerschaftsführer sieht das anders aus. Lächelnd schauen mir da gepflegte Frauen in gebügelten Kleidern entgegen. Mir wird klamm ums Herz. Ich komme jetzt schon alles andere als vorbildlich daher. Wie soll es nur werden, wenn das Kind erst da ist? Verbissen konzentriere ich mich auf das, was meine ganze Mitarbeit erfordern wird und eigentlich erst der Anfang von allem sein sollte: das groÃe Ereignis - die Geburt. Es geht an die Geburtsvorbereitungen.
Die optimale Geburtsvorbereitung
»Und wir legen die Beine auf der Unterlage ab!«
Ich liege auf einer Gummimatte, mein Mann neben mir schnauft genervt auf seiner Gummimatte, um uns herum atmen ein Dutzend Paare auf ihren Gummimatten. Wir hören der Hebamme zu, die beschwörend einen Text zur Entspannung durch den Gymnastikraum raunt. Der Satz wird auf Jahre ein running gag in unserer Ehe. Wir sind in einem Geburtsvorbereitungskurs, zehn Abende in drei Monaten. Es ist schrecklich. Die meiste Zeit lesen wir uns reihum Geburtstechniken und praktische Tipps aus kopierten Materialien vor, die die Hebamme am Anfang der Stunde
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