Mutterschuldgefuehl
zwei Jahre. Die Stillberaterinnen von La Leche Liga Deutschland e. V. - ein Verein, der eng mit der WHO (der Weltgesundheitsorganisation) zusammenarbeitet - weisen darauf hin, dass es (zwar offensichtlich eine Untergrenze, aber) keine Obergrenze für die Stilldauer gibt.
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»Anthropologische Forschungen ergaben Hinweise darauf, dass das natürliche Abstillalter beim Menschen zwischen zwei, fünf und sieben Jahren liegt. Als Stillorganisation in Deutschland sehen wir es als unsere Aufgabe an, jede Familie dabei zu unterstützen, so lange zu stillen, wie es ihren individuellen Bedürfnissen und Möglichkeiten entspricht.«
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Nun sind meine individuellen Bedürfnisse zu stillen bei einem halben Jahr relativ gut befriedigt, aber ich traue mich nicht abzustillen. Muttermilch soll zum Beispiel die emotionale Bindung zum Kind fördern und bietet Nestschutz, die Abwehr von Krankheitserregern. Sie ist auch ein gutes Mittel gegen Babyschnupfen und soll Allergien vorbeugen, aber dafür muss eine Mutter schon wenigstens ein Jahr lang die Brust hinhalten.
Leider wird »Stillen« überdies als Synonym für »Stillen nach Bedarf« verwendet, eine Ernährungsweise, die in den letzten Jahren sehr in Mode gekommen ist. Wenn ich von »Bedarf« rede, erübrigt es sich nach all dem bisher Gesagten, darauf hinzuweisen, dass hier natürlich nicht der Bedarf der Mutter gemeint ist. Auf so etwas würde gar keiner mehr kommen. Von Müttern wird ganz selbstverständlich erwartet, sich bedingungslos auf die Bedürfnisse des Kindes einzustellen. Stillen nach Bedarf meint, das Kind anzulegen, wann immer es möchte. Acht bis zwölf Mal in 24 Stunden gilt da als völlig normal, so heiÃt es in Stillgruppen, in Ratgebern, im Internet. Auch 12 bis 24 Mal sei akzeptabel, vermelden Still-Blogs. Und La Leche Liga e. V. verkündet energisch, es sei ein Ammenmärchen, dass ein Mindestabstand zwischen den Stillmahlzeiten von zwei Stunden eingehalten werden sollte.
Schön. Einige Babys brauchen ewig, bevor sie mit dem Trinken fertig werden. Man sitzt da und wartet. Es ist sehr zeitaufwendig und manch eine Mutter könnte gleich wach bleiben, um den nächsten Bedarf zu stillen. Aber egal. Das Kind ist wichtiger als der Schlaf der Mutter und natürlich hat eine gute, aufopferungsvolle Mutter das tiefe Bedürfnis, ihr Kind jahrelang rund um die Uhr zu stillen. Was denn sonst?
Einmal abgesehen von einigen Schwierigkeiten in der Alltagsgestaltung von Frauen, die neben dem Kind auch andere Aufgaben haben, wie sieht es denn mit der Bewältigung von Schlafmangel aus? Wer hier Antworten bei La Leche e. V., in Ratgebern, Broschüren oder im Internet sucht, wird meistens nicht fündig, denn dafür gibt es ja auch keine Lösung. Dafür finden wir viele gute Ratschläge, wie wir mit anderen
Schwierigkeiten beim Stillen fertigwerden können, um durchzuhalten.
Damit wir uns nicht falsch verstehen: Ich stille gerne. Stillen ist schön - wenn man einmal die blutenden Bisswunden am Anfang überstanden hat, deren Schmerzen einem jedes Mal beim Anlegen des Kindes die FuÃnägel aufrollen. Kleine Babys haben ungeheuer starke Kiefer und sind gierig. Da kann man zwar »Na, na, na!« brüllen, es bringt aber rein gar nichts, und so schlieÃt man die Augen und denkt ans Vaterland. Aber nach zwei Wochen ist der Spuk meist vorbei, die Brust hat sich gewöhnt oder das Baby ist erzogen, was weià denn ich. Ich habe in meinem Leben nur eine Mutter getroffen, die an der Brust von Anfang an völlig unempfindlich war, und ich war zwischen Unglauben, Ehrfurcht und Mitleid hin- und hergerissen. Die meisten Mütter behelfen sich mit Quarkwickel, Stillhütchen, Globuli oder sonstigem Hilfswerkzeug.
Aber Stillen ist nicht schön, wenn man sich dazu gezwungen fühlt. Nicht wenige Mütter stehen tapfer stillend schmerzhafte blutige Brustentzündungen durch und kämpfen sich eisern durch die gesamte Stillzeit, weil sie glauben, keine guten Mütter zu sein, wenn sie es nicht tun. Unseren Müttern wurde oft noch nach wenigen Stillversuchen gesagt, sie seien zum Stillen nicht geeignet, und damit war das Thema erledigt, der Stillversuch nach wenigen Tagen abgebrochen. Es wurde kein groÃes Gewese gemacht, sondern die ganze Sache pragmatisch gesehen, von Schuld noch keine Spur. Davon mag man halten, was man will, aber heute scheint es in das andere Extrem
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