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Mutterschuldgefuehl

Titel: Mutterschuldgefuehl Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ulrike Hartmann
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Brumm-brumm-Geräusche beim Einschlafen liebt. Andere legen ihren Sprössling auf die Waschmaschine im Schleudergang, weil ein sanftes Vibrieren ihn einschlafen lässt (Vorsicht - die Maschine braucht einen guten Stand!). Die dritten singen tapfer ellenlange Schlaflieder, bei denen sie selbst kaum die Augen offen halten können, die ihre Babys
aber offenbar gut unterhalten. Eltern halten Händchen, hören mit ihren Kindern spezielle Babymusik oder tragen Babys in Gewaltmärschen durch die Wohnung. Ich für meinen Teil versuche es mit ausgeklügelten Fußmassagen, was aber eigentlich unsinnig ist, denn meine Tochter sieht mich nachts gern alle zwei Stunden an meiner Brust, auch gern mit Massage.

Die lieben Mitmenschen … wissen alles besser
    Ich nehme den Begriff »Stillen nach Bedarf« bitterernst. Um es neutral zu sagen: All dies greift die Nerven zusätzlich an.
    Wundert es da noch, dass ich überaus sensibel auf launige Bemerkungen meiner Mitmenschen reagiere? Sprüche wie »Solltest du sie nicht einfach schreien lassen?« oder »Findest du nicht, dass du etwas wenig schläfst?« bohren nicht nur in den Existenzängsten einer todmüden Frau, sondern legen den Finger in die offene Wunde: meine Ohnmacht. Ich kann meiner Mutterschuld nicht entkommen.
    Wenn ich dann noch Kommentare meiner Mitmenschen zu hören kriege, die versuchen, mir weitere, neue Schuldgefühle einzureden, von denen ich bisher noch gar keine Ahnung hatte, kann es schon mal sein, dass ich am Rande eines Nervenzusammbruches daherschrabbe. Wenn ich mir als Mutter den richtigen emotionalen Kick geben will, brauche nur mit meinem Baby in die Öffentlichkeit zu gehen. Wenn ich Glück habe, treffe ich auf schlaue Leute.
    Â 
    Â»Ach, ist die Kleine niedlich«, sagt die hochgewachsene Rentnerin und schaut erfreut in den Kinderwagen.
    Â»Danke«, sage ich zufrieden.
    Sie schaut mich streng an.
    Â»Sie müssen es immer auf die Seite legen. Das wissen Sie ja wohl. Sonst kriegt es einen platten Kopf.«
    Â»Ã„h ja, mache ich«, stammele ich verwirrt über die unerwartete Wendung des Gesprächs.
    Â»Und Sie müssen dem Kind von Anfang an Grenzen setzen.
Von Anfang an!« Sie blitzt mich aufgeregt an. »In unserem Haus, da ist ein Kind, das können Sie sich nicht vorstellen. Frech ist das, frech!«
    Ein Tropfen ihrer Spucke landet auf meiner Lippe.
    Â»Das hat Ausfälle, sage ich Ihnen. Ausfälle! Das schreit rum und ist laut. Unfassbar! Erschütternd!« Sie blickt finster auf mich runter. »Man müsste dem Bengel mal eins gründlich hinter die Löffel geben. Und die Mutter macht nichts! Nichts! Unfähig, sage ich Ihnen, vollkommen unfähig!«
    Â»Wie alt ist denn das Kind?«, frage ich mit Kloß im Hals. In Gedanken sehe ich mich schon als neuesten Gesprächsstoff im Viertel kursieren.
    Sie starrt mich an.
    Â»Drei oder so.«
    Â»Oh«, sage ich und lächele gequält. »Das soll ja auch kein leichtes Alter sein.«
    Â»Sind Sie auch so eine von diesen Antiautoritären?«, fährt sie mich an. »Das hätte es früher nicht gegeben. Sind Sie etwa auch so eine?«
    Ich ziehe meinen Kopf ein, drehe meinen Kinderwagen und mache mich davon.
    Â»Ich geh hier immer spazieren!«, schreit sie mir hinterher und schüttelt fröhlich ihren Stock in der Luft.
    Â 
    Ohne Kind war ich wie ein Blatt im Herbstwind, konnte unbeachtet durch die Straßen gleiten. Mit Kind bin ich so etwas wie Freiwild. Ich muss auf einmal so etwas Putziges, Hilfloses oder Armseliges an mir haben, anders kann ich mir nicht erklären, warum mich völlig Fremde abfangen und Ratschläge geben. Und nicht nur die Rentner des Viertels lauern geradezu darauf, mich in ein beratendes Pläuschchen zu verwickeln. Auch »das Mittelalter« hält sich nicht zurück. Schon in der Schwangerschaft haben mir Fremde neckisch auf den Bauch gefasst. Jetzt halten sie mir ab und an kleine Vorträge. Und ich bin da keine Ausnahme. Ich habe mich erkundigt. Jede Mutter hat ihre eigenen Anekdoten. Die Palette reicht von netten Komplimenten über das Baby bis hin zu hässlichen Bemerkungen über Aussehen von Mutter und
Kind. Man mag es kaum glauben, aber manche Mitmenschen fühlen sich offenbar aufgerufen, nicht nur ein Baby ungeniert nach Erscheinungsbild und Fähigkeiten zu bewerten - und die Mängelliste reicht von spärlicher Kopfbehaarung

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