Mutterschuldgefuehl
Wir haben ja Mütter. Meine Mutter konnte früher noch unbefangen schimpfen: »Mein Gott, ist das Kind laut! Was ist nur mit ihm los?«
Ich stammele verzweifelt: »Mein Gott, ist das Kind laut! Was habe ich nur falsch gemacht?«
Angst, meine ständige Begleiterin
Leider bin ich nicht nur schuldbewusst, sondern zu allem Ãberfluss extrem auf Risiko und Gefahr geeicht. Damit wir uns nicht falsch verstehen - eine gewisse Nervosität und Angst gehört als Mutter in den ersten Wochen, Monaten und Jahren unbedingt dazu, ja, sie sind sogar unerlässlich. Denn da niemand vorhersehen kann, was einem hilflosen Baby oder Kind in der nächsten Minute zustoÃen kann, sind es gerade diese Ãngste, die eine gute Mutter ausmachen und keinesfalls Anzeichen eines tief neurotischen Homo sapiens. Das bestätigen Experten wie Nadia Bruschweiler-Stern und Daniel N. Stern in ihrem Buch Die Geburt einer Mutter . Intuition zu besitzen bedeutet eben gerade nicht, frei von Angst und Sorgen zu sein - sind sie doch der Motor, der junge Mütter schön auf Zack hält und sie tödliche Gefahren wittern
lässt. Ein Mensch, der sich um ein Neugeborenes kümmert, muss in allen Sinnen sensibilisiert und ständig in Alarmbereitschaft sein, um blitzschnell einschreiten zu können.
Nur wittere ich Unglück und Tod auf 1000 Meilen.
Mir fehlt nicht nur die Erfahrung, dass und wie ein Kind bei mir wachsen und gedeihen kann, was mich jetzt ein gehöriges Stück aufmuntern würde, sondern ich habe durch diese wunderbar fokussierte Schwangerschaft meine Risiko-Gefahren-Antenne auf gefühltes Satelliten-Maà ausgefahren. Ich bin mir eigentlich nie sicher, ob ich es richtig mache oder gerade dabei bin, meine Tochter für ihr gesamtes Leben zu ruinieren. Ich traue mich nicht, einfach auf meine Intuition zu hören, denn habe ich nicht in der Schwangerschaft gelernt, dass das völlig verantwortungslos wäre?
Ständig gehen mir quälende Fragen durch den Kopf:
Halte ich das Köpfchen gut? Oder kriegt mein Kind jetzt einen Halswirbelschaden? Ich denke an das gefürchtete Schütteltrauma!
Trinkt das Kind genug oder zu viel? Oder verhungert es allmählich vor meinen Augen? Wird es zu fett und kriegt diese elenden Fettzellen nie wieder weg?
Ist meine Tochter nach Vorschrift gewindelt? Oder bekommt sie schreckliche Infektionen, die ich mit Antibiotika behandeln muss? Wird das nicht ihr gesamtes Imunsystem lebenslang ruinieren?
Ist sie zu warm oder zu leicht angezogen? Bekommt sie einen Hitzeschock oder eine tragische Lungenentzündung? Muss sie dann ins Krankenhaus und an einen schmerzhaften Tropf? Ist meine Milch gut genug? Oder kann ich von Anfang an einfach nicht das Beste geben?
Bekommt sie genügend Schlaf, frische Luft, Pflege, Aufmerksamkeit, Liebe? Oder wird sie langsam unter meinen liebenden, aber leider unfähigen Händen dahinwelken?
Es ist furchtbar. Und es sind nicht nur die handwerklichen Fragen, die mich zermürben. Ständig habe ich Angst, meiner Tochter könne etwas zustoÃen. Verhungern, ersticken, vom Wickeltisch fallen, in der Badewanne ertrinken oder schlicht aufhören zu atmen.
Manchmal wird mir alles zu viel, die Nähe, die Verantwortung, die Angst. In diesen Momenten sehne ich mich nach meinem alten, einfachen Leben zurück, fange an, biestig zu grübeln, ob andere Mütter nur von der Mutterschaft schwärmen, damit sie nicht alleine in der Falle sitzen. Und dann wieder schüttelt es mich vor Mitleid mit dem armen Wurm - wie soll das arme Kind mit solchen dilettantischen Eltern überhaupt leben? Wie kann es überhaupt, frage ich mich düster logisch denkend, wenn bei uns schon Topfpflanzen verkümmern?
Stillen nach Bedarf
Nicht nur die Ãngste machen mich zu einem kleinen Nervenbündel. Nein, es ist auch die Ernährungsweise meines Kindes, die mich langsam, aber sicher an den Rand des Wahnsinns treibt. Denn ich stille nach Bedarf. Stillen ist das Beste für das Kind. Das sagen die Hebammen, die Krankenhäuser, die Stillgruppen, es steht in jedem Ratgeber, in jedem Artikel zur Baby-Ernährung, ja, wir hören es sogar in Werbespots und lesen es auf Kartons von Milchpulver, die die Muttermilch ersetzen kann. Eine gute Mutter stillt ihr Baby für mindestens sechs Monate nach Bedarf, am besten ein ganzes Jahr, und - wie auf den Internetseiten von Stillforen und Stillgruppen zu lesen ist - gerne auch mehr als
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