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Mutterschuldgefuehl

Titel: Mutterschuldgefuehl Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ulrike Hartmann
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mehr über das Kind wissen als sie selbst (»Du bist doch die Mutter !«): Warum schreit es jetzt? Was macht es da? Was will es denn? Es gibt sogar Menschen, die an geheimnisvolle Hormone glauben, die es Frauen viel leichter machen als Männern, Babygeschrei und häuslichen Stress zu ertragen. Mit einem derart beruhigten Gewissen bleiben viele Väter laut offiziellen Studien die ersten Familienjahre dann lieber länger außer Haus.
    Doch geben wir Frauen es doch ruhig offen zu - wir wissen meist genauso wenig über unsere Kinder wie unsere Partner. Es ist fraglich, ob das jemals anders war, aber im Zeitalter der pränatalen Diagnostik bleiben Intuition und naturgegebene Weisheit ganz sicher zu großen Teilen auf der Strecke.

Anfängerglück
    Mein Kind - das Abenteuer. Das Baby ist wie der Besuch vom anderen Stern. Es setzt mich durch seine Laute, Bewegungen und Hungeranfälle ständig in Erstaunen. Ich wusste nicht, dass Babys so unterschiedliche Grimassen und Geräusche machen können. Ich wusste nicht, wie wichtig die Verdauung ist. Mir wird einiges klar im Leben.
    Ich blicke in das Körbchen. Da schlummert mein winziges Töchterchen ruhig in ihrem Bettchen, ganz selbstverständlich, als wäre sie immer schon da gewesen. Es ist ein Wunder! Ich bin selig. Genau so hatte ich mir das vorgestellt. Genau so muss es sein. Wann war mir jemals ein Mensch so nah? Wen habe ich schon von Kopf bis Fuß gewaschen, gewindelt, gestillt,
getröstet, gestreichelt, geherzt und geküsst? Wen habe ich so hingebungsvoll im Schlaf beobachtet und auf jeden seiner Atemzüge gelauscht? Wen habe ich stundenlang auf dem Arm getragen und innig seinen süßen Duft eingeatmet? Welche glucksenden Laute haben mich jemals so in Verzückung geraten lassen wie das Brabbeln dieses winzigen Kindes? Ich schaue auf mein schlafendes Kind und bin gerührt, tief ergriffen vor Mutterliebe.
    Auf einmal öffnet das Baby seine goldigen Augen - und die sind erschreckend düster. Ich sehe die süßen Mundwinkel rasant im Bogen nach unten wandern, die Nase kraust, der Hals wird rot, der Mund öffnet sich - und im nächsten Augenblick dröhnen mir die Ohren wie unter Paukenschlägen. Baby schreit, und zwar kräftig. Das Kind hat eine gute Lunge. Vorsichtig nehme ich das Kind aus der Wiege, schleppe es umher, singe, schwinge, hüpfe, versuche es zu stillen. Es hilft alles nichts. Es will sich partout nicht beruhigen lassen. Je länger es dauert, umso elender fühle ich mich. Anflüge von Hysterie steigen in mir auf. Mein Kind schreit um Hilfe und ich weiß nicht, warum! Ich flehe es an, endlich Ruhe zu geben. Es dauert lange, bis ich den Zwiebackkrümmel im Strampler entdecke. Als mein Mann nach Hause kommt, schläft unser Kind zufrieden im Bettchen und ich sitze verheult am Küchentisch. Wer hatte denn die blöde Idee, ein Kind zu bekommen? (Ich habe vergessen, dass ich es war.) Und nun muss ich es ausbaden und der feine Herr macht sich derweil ein schönes Leben!
    Jeder, der Babyschreie hört, versteht sofort, warum es international zu den schwer erträglichsten Geräuschen zählt. Die Natur hat es zum Überleben der Kleinsten so eingerichtet, dass alle sofort alles tun würden, nur um ein Baby nicht mehr schreien zu hören, aber Eltern können bei Strafandrohung nicht weglaufen. Besänftigungskunst ist gefragt, aber die schlägt leider nicht immer an. Es gibt - auch wenn einige Menschen dies nicht verstehen - keinen Knopf zum Ausschalten. Ein Kind, so klein es auch sein mag, hat durchaus Gründe zu schreien. Und wenn die Gründe nicht erkannt und behoben werden, gibt es kein Pardon.

    Leider habe ich mir den Mutterschuld-Virus eingefangen, der da heißt: Mutter ist an allem schuld, ob Birnenfigur, falsche Partnerwahl oder sonstiges lebenslanges Unglück. Früher fand ich es irgendwie praktisch, meiner Mutter die Schuld an allem zu geben. Jetzt bin ich selbst Mutter, bin nicht mehr nur Tochter und Opfer. Da ändert sich die Perspektive. Ich bin jetzt Täterin und dieses Wissen macht mich fertig, wenn ich meine Tochter schreien höre. Mir fällt gar nicht auf, dass Schreien eigentlich normal ist für ein Wesen, das nicht dezidiert argumentieren kann oder die Zeichensprache beherrscht. Mir fällt nicht mal auf, dass sie eigentlich wenig schreit.
    Aber es winkt der Erfolg des Kindes, es winkt sein Ruhm - und auf der anderen Seite

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