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Mutterschuldgefuehl

Titel: Mutterschuldgefuehl Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ulrike Hartmann
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verfallen zu sein. Es gibt Stillberaterinnen, Stillratgeber und Still-Krankenhäuser, die helfen und überzeugen sollen, unter allen Umständen die erste schwierige Zeit zu überstehen. Es wird auch unter Müttern nicht gern gesehen, wenn Frauen beim Stillen nicht mitziehen. Die eine oder andere Mutter fühlt sich da argwöhnisch beobachtet, wenn sie dem Stillen lieber entsagt. Ja, manche munkeln sogar von einer regelrechten Still-Mafia, die Abweichlerinnen mit Vorwürfen und lebenslangem Kontakt-Entzug drohen.

    Allerdings muss man sich fragen, was langfristig schlimmer ist - soziale Ächtung oder eklatanter Schlafmangel?

Wache Nächte
    Wenn ich von Schlafmangel rede, meine ich nicht die schwebende Müdigkeit, die mich früher nach einer durchtanzten Nacht umgab. Ich meine auch nicht die wohlige Müdigkeit nach einem munteren Ausdauertraining oder einem kleinen Schäferstündchen. Ich spreche von einer Müdigkeit, die jenseits von bleiern ist. Von einem Druck in deinem Kopf, der deine Kiefer wie Granit zusammenpresst und dir das Gefühl gibt, langsam über Asphalt zu schrammen. Hätte mir jemand vor zehn Jahren gesagt, ich würde später mal für meine Kinder jahrelang jede Nacht zwei bis acht Mal aufstehen, ich hätte ihn nur mitleidig belächelt, denn ich gehöre zu den Menschen, die sehr gerne und ausgiebig schlafen, und so ein Irrsinn stand komplett außerhalb meines Vorstellungsvermögens. Ich hätte sogar vermutet, dass dieses ungesunde Verhalten langsam, aber sicher zum Tode führt.
    Eines Tages lese ich mit grimmiger Genugtuung in der Zeitung, dass Schlafentzug schon seit Urzeiten zu den gängigen Foltermethoden gehört. Manche zivilisierte freie Welt hat diese Methode übernommen: Um Menschen geständig zu machen, wird ihnen der Schlaf geraubt und gleichzeitig werden sie permanent mit Kinderliedern beschallt, vorzugsweise, wie ich lese, aus der Sesamstraße. Ich habe sofort weitere Interpreten der Kindermusikszene auf der Zunge, die Inhaftierte mürbe werden lassen könnten, aber ich verkneife mir wohlweislich alle lauten Kommentare. Ich will nicht geschmacklos und undankbar erscheinen und mein Mutterleben mit dem harten Dasein von Häftlingen vergleichen oder aber krasse Verhörmethoden verniedlichen. Trotzdem bin ich seit diesem Tag etwas beruhigt. Erklärt das nicht so manchen meiner hysterischen Anfälle? Ich bin nicht verrückt - ich werde quasi gefoltert! Millionen Frauen weltweit rennen Nacht für Nacht mit einem Kind umher, und kaum eine von
ihnen fragt sich mal, ob sie nicht einfach mal selbst nach Bedarf schlafen sollte.
    Zugegeben: Schlafen geht natürlich am besten, wenn das Kind schläft. Es ist lustig, was Mütter und Väter alles unternehmen, um den Nachwuchs zur Ruhe zu bringen. Schreien lassen darf man das Kind nicht, weil das Trauma droht. DAS TRAUMA! Keiner weiß Genaues über dieses furchtbare Phänomen, aber alle wissen, dass das Trauma unsere Kinder tief verstört und schneller da ist, als man bis drei zählen kann. Lässt man ein Kind schreien - das Trauma kommt! Nimmt man ihm zu früh den Schnuller weg: traumatisch! Setzt man es zu früh aufs Töpfchen: lebenslanger Trauma-Schaden!
    Wir können uns nur immer wieder fassungslos fragen, wie die Menschheit sich jemals entwickeln konnte bei all den furchtbaren Traumata, die in der Kinderstube lauern - und ich bin sicher, der eine oder andere ist überzeugt, dass wir uns wegen ihnen nur sehr schlecht entwickelt haben.
    Also, schreien lassen geht nicht, da sind wir uns Hobby-Pädagoginnen im neuen Jahrtausend einig. Höchstens vielleicht ein paar Minuten unter Anleitung von ausgeklügelten Ratgebern, die einem immer wieder versichern, dass jedes Kind schlafen lernen kann, dass es normal ist, wenn das Baby in diesen Minuten schreit und uns und der Menschheit auch in Zukunft vertrauen wird. Und jeder, der das mal gemacht hat, weiß, dass uns Eltern in den paar Minuten trotzdem das Herz bricht, weil wir glauben, das Kind zu traumatisieren und unwiderruflichen Verlustängsten auszusetzen, und das Kind erst dann so richtig in Fahrt kommt. Trotz aller Erfolgsmeldungen, die hier und da durch die Presse geistern: Der Preis der wenigen Minuten ist vielen eindeutig zu hoch.
    Ich habe mich unter müden Eltern umgehört: Einige fahren ihr Baby im Pkw durch die nächtlichen Straßen, weil der Kleine

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