Muttersoehnchen
entlud. Das passte zu einer Generation, die zeigte, was sie hatte, während sie kirchliche Feiertage ignorierte.
Zusammen mit acht mindestens ebenso kräftigen Jungs und fünf noch kindlichen, aber auch knapp siebenjährigen Mädchen ging Maik erwartungsfroh in ein Klassenzimmer, das er noch oft würde wechseln müssen. Fast so oft, wie er sich an immer wieder neue Gesichter gewöhnen musste: Ab jetzt bin ich deine Lehrerin. Eine wird schwanger, die andere krank und die dritte saß nur auf einer Feuerwehrstelle. Unser Glück, dass wir das noch nicht wussten.
Auch nicht, dass wir diesen Raum in Kürze anstreichen durften. Hätte mir das doch einer gesagt, dann hätte ich fürs Aufmass schon mal den Zollstock mitbringen können.
Nur wenige Wochen später standen viele von uns eines Samstagmorgens um acht im Türrahmen, mit ungebrochenem Teamgeist und viel Verständnis für die prekäre Finanzlage der Kommune. Wir wollten die Lernatmosphäre fördern, deshalb kratzten wir Kaugummis von Tischen und Bänken, deshalb pinselten wir grellgelbe, scheuerfeste Farbe an die Wände. Dass Malern ein Beruf ist, den man nicht studieren konnte, störte uns nicht, wir waren vor nichts bange. Für unsere Kinder wollten wir das Beste, egal wie es aussah. Ein bisschen irritierte uns nur, dass wir bei unserer wichtigen Mission alleingelassen wurden. Die Bauleitung war nicht erschienen, schließlich war Samstag und da hat die Lehrerin frei. So sprach sich schnell rum, dass diese Form von Engagement kein geeignetes Mittel sein konnte, um den wohlwollenden Blick der Herrschenden aufs eigene Kind zu lenken.
Am ersten Schultag marschierten Hahn und Henne also mit geschwellter Brust hinter ihren so wahnwitzig gut gelungenen Küken her, auf in ihr neues Klassenzimmer. Das zu hinterfragen, kam mir gar nicht in den Sinn. Schließlich mussten wir doch wissen, wo unsere geliebte Brut fortan die Vormittage verbringt. Wir und nicht sie eroberten die neue Welt, packten die seinerzeit noch analogen Kameras aus und drapierten unsere Kinder. Heute grusele ich mich vor mir selbst. Heute bin ich überzeugt, dass es uns überhaupt nichts angeht, wo unsere lieben Kleinen werkeln werden.
Das erste, was mir seinerzeit ins Auge fiel, war der falsch geschriebene Vorname unseres Sohnes auf dem Schild an seinem Sitzplatz. Dort stand Mike in der amerikanischen Schreibweise. Unser Maik sollte aber die niederdeutsche Kurzform von Michael tragen. Der Name kommt ganz ursprünglich aus dem Hebräischen und bedeutet: Macht. Auch Maik bemerkte den Fehler, mit knapp sieben konnte er seinen Namen schon eine Weile schreiben und lesen. Er wollte aufbegehren, suchte aber vorsichtshalber erst meinen Blick, um ihn sofort wieder zu meiden. Der Ernst des Lebens hatte soeben begonnen, da ruft man besser nicht gleich nach der Mama.
Mittlerweile findet unser Sohn die Schule doof und ist ziemlich faul. Das Übliche also, kein Grund zur Besorgnis. Besorgniserregend ist nur, dass ihn die leeren Versprechungen und das konsensorientierte Geschwafel erst gar nicht mehr aufregen. Er erklärt die Lehrer zu frustrierten Bekloppten, die Zustände als gottgegeben, zuckt die Schultern und schreibt einen neuen Song. Maik sucht stets die Nische, nie die Arena. Natürlich mache ich mir so meine Gedanken. Nicht weil Maik anders wäre, sondern weil er so ist wie alle seine Freunde.
Jetzt kommt er aus seinem Musikraum hoch und schaut kurz im Wohnzimmer rein: »Ich weiß jetzt, was ich nach dem Abi mache.« Rolf und ich setzen uns aufrecht hin, freudig überrascht. »Ja?« Ziemlich beiläufig erklärt unser Herr Sohn: »Ich gründe ein Tonstudio mit Jannick und Luki. Nacht!« Er dreht sich um, für ihn ist das Gespräch beendet. »Wie bitte?«, rufe ich hinterher und: »Komm wieder her!« Gut, dass wir den Wein bereits getrunken haben, sonst bekämen wir jetzt Schnappatmung. »Ey, wir ham uns alles genau überlegt. Ich mach’ das schon.« Spricht’s und zieht ab.
Oh, Himmel, wie bringen wir den Burschen zur Vernunft? Die Entspannung, die wir dem Alkohol verdanken, ist weg. Und damit auch die kurze Überlegung, von meinem Besuch bei der Frauenärztin zu erzählen, dazu hätte ich einen größeren Anlauf gebraucht. Irgendwas muss ich tun! Ich springe auf und mache mich hektisch in der Küche zu schaffen, auf der Ablage liegt noch Maiks letzte Deutscharbeit, die Analyse von Robert Musils Erstlingswerk »Die Verwirrungen des Zöglings Törleß«. Ich kann meines Sohnes Schrift kaum entziffern,
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