Muttersoehnchen
hatte es von Beginn an einfacher in der Schule. Über den neuerlich vereinfachten Ansätzen der 90er schwebte ein pädagogisches Ideal: Angst und Auswendiglernen werden aus dem Klassenzimmer verbannt, das Kind entwickelt größtmögliches Potenzial in wohliger Lernatmosphäre. Es gibt keine Fehler, nur Lernchancen, und jeder Konkurrenzgedanke ist baba. Das Didaktikprogramm war
für Lysa gemacht, nicht für Maik. Ihm fehlte der offene Wettkampf, der Abgleich untereinander, den alle Jungs im unbeobachteten Spiel selbst sofort herstellen. Ein fairer Wettkampf hätte Maik gereizt, nicht entmutigt.
Da fielen die kleinen Neuerungen der vereinfachten Ausgangsschrift, bei der die Buchstabenverbindungen vereinheitlicht wurden, kaum noch ins Gewicht. Die im Schriftbild sichtbarste war die Unterschlinge beim kleinen z. Wie Maik schreibt, erinnerte mich an die Schrift meiner Oma. Die vereinfachte Ausgangs(schreib)schrift lehnte sich noch stärker an die Druckbuchstaben an, mit der Kinder schon immer das Schreiben starteten. Die bis dahin gängige Schulausgangs(schreib)schrift mit Schnörkeln löste seit den 70ern die Lateinische Ausgangs(schreib)schrift mit noch mehr Schnörkeln sukzessive ab. Nach Einschätzung ihres Erfinders Dr. Heinrich Grünewald sollte sie leichter erlernbar sein und Fehlerquellen reduzieren.
Gute fünfzehn Jahre später schlägt der Grundschulverband die vollständige Abkehr von einer Norm(schreib)schrift vor, die ein Kind in Lineaturen zwängt. Aus Druckbuchstaben würde sich irgendwann sowieso die Handschrift entwickeln, und sie sei feinmotorisch auch nicht so anstrengend wie eine Schreibschrift. Überdies lasse sie dem Kind mehr Freiheiten. Alles soll einfacher werden, freier sein und mehr Spaß machen. Das steht im krassen Widerspruch zur komplett veränderten Leistungsanforderung der Grundschule im neuen Jahrtausend.
Die Zeugnisse aus dem alten Jahrtausend gaben nur verklausuliert Auskunft über den Wissenstand unseres Kindes, damit auch die engagierten Eltern nicht entmutigt wurden. In der ersten und zweiten Klasse beurteilte die Lehrerin mit Worten statt mit Zahlen, weswegen es auch Zeugnisbericht und nicht mehr Zeugnis hieß.
Bei Maik klang der Zeugnisbericht Ende der 2. Klasse so:
Hinweise zum Arbeits- und Sozialverhalten:
Maik fand sich problemlos im Schulalltag zurecht. Er beteiligte sich meist aufgeschlossen und engagiert am Unterrichtsgeschehen. Durch seine Beiträge zeigte er, dass er die behandelten Themen gut durchdacht hatte. Es fiel ihm leicht, neue Lerninhalte zu erfassen und
anzuwenden. Maik konnte sich über einen längeren Zeitraum konzentrieren und arbeitete selbständig und zügig, aber nicht immer sorgfältig genug. Seine Hausaufgaben erledigte er stets vollständig und regelmäßig.
Aussagen über die Lernentwicklung und den Leistungsstand in den Lernbereichen/Fächern:
Maik beteiligt sich an Unterrichtsgesprächen rege und interessiert und kann ein gutes Allgemeinwissen unter Beweis stellen. Man merkt, dass er eigene Texte mit Freude verfasst. Geübte Diktate schreibt er mit unterschiedlicher Fehlerzahl. Er kann unbekannte und schwierige Texte betont lesen und ihren Inhalt verstehen. Mit eigenen Beiträgen und Materialien bereichert er den Sachunterricht. In Mathematik beherrscht Maik die behandelten Additions- und Subtraktionsaufgaben im Zahlenraum bis 100 und löst sie rasch und sicher. Er kennt die gelernten Einmaleinsreihen und rechnet die dazugehörigen Mal- und Geteiltaufgaben richtig und auch zügig. Textaufgaben kann er schnell durchschauen und Lösungswege finden. Maik beweist im Sport- und Schwimmunterricht Anstrengungsbereitschaft und Geschicklichkeit. In Kunst zeigt er großes Interesse und Mitarbeit an geplanten Vorhaben. Er kann Gestaltungshinweise umsetzen. Maik nimmt meist interessiert am Musikunterricht teil, kann Liedtexte und Melodien behalten und in Bewegungen oder bildhafte Darstellungen umsetzen.
Ich las daraus, was ich lesen wollte: Gymnasium! Maik war clever, und er konnte seinen Namen tanzen. Weihnachten schrieb er allerdings immer noch ohne h, wie lange wohl noch? Ich würde ihm zu gern mit Geschenkestopp im Namen des Weihnachtsmannes drohen, aber ich durfte ihn ja nicht entmutigen, und das Zeugnis sah so aus, als sei das Problem noch nicht aufgefallen. Dummerweise erkannte ich in dem Nebel nicht, dass dem Bericht die feinen Zutaten fehlten: stets, immer, ständig, voll, besonders, sehr. Maiks Zeugnis war in Ordnung, mehr nicht.
In den
Weitere Kostenlose Bücher