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Muttersoehnchen

Muttersoehnchen

Titel: Muttersoehnchen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Silke Fink
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Soldat.« Maik löffelt Schokopops mit Milch und fragt höflich, ob ich mit meinem Vortrag zum Ende kommen könnte, bis er wieder los muss. Er hat nämlich nicht frei, bloß eine Freistunde. Auf die Schule ist Verlass.

    Als Maik im Sommer 2001 aufs Gymnasium wechselte, sah es so aus, als hätte sich seit einem Vierteljahrhundert nichts verändert. Die Probleme, die bei uns schon diskutiert wurden, waren alle noch da. Klassen: zu groß, Ausstattung: zu alt, Lehrer: zu wenige. Dann wurden im Dezember die ersten PISA-Ergebnisse veröffentlicht, eine internationale Schülerbewertung. Deutschland lag auf den hinteren Rängen, im nationalen Vergleich wurde das bekannte Nord-Süd-Gefälle bestätigt.

    Politiker und Lehrer waren erwischt. Denn die Studie kontrollierte viel mehr die Schulsysteme und Leistungen der Lehrer als die der Schüler, und dass einfach nur, indem europaweit dieselben Fragen gestellt wurden. Das Schülerbewertungsverfahren, an dem alle 33 Staaten der Organisation für Wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) teilnahmen, konzentrierte sich nicht auf ein einzelnes Schulfach, sondern untersuchte die drei Bereiche Lesekompetenz, mathematische Kompetenz und naturwissenschaftliche Grundbildung. Untersucht wurden alle 15-Jährigen, nicht die Schüler einer Klassenstufe. Und neben allen kognitiven Ergebnissen förderte der aufwendige Test noch ein beunruhigendes Faktum zutage: In keinem Land war die Herkunft eines Kindes für dessen schulische Karriere so entscheidend wie in Deutschland.
    Davon wussten die Lehrer schon lange ein Lied zu singen. Die Oberschule war bei Kindern von Eltern mit Abitur längst zur Hauptschule geworden. Mehr als 60 Prozent der deutschen Schüler besuchten das Gymnasium, ein enorm großer Anteil. Nur wenn man auch die ausländischen Schüler mitzählte, klang die Zugehörigkeit zur höheren Schule noch einigermaßen elitär, dann waren es knapp 35 Prozent. Mit dieser Zählweise konnte man sich noch einreden, Gymnasiast zu sein, sei etwas Besonderes. Und was bei dieser Gelegenheit auch nicht mitgezählt wurde: Der Anteil männlicher Gymnasiasten nahm seit einiger Zeit kontinuierlich ab.

    Die Zahl der Bundeswehrfamilien nimmt auch ab. Ich bin in einer davon aufgewachsen. Und jetzt erzähle ich meinem Sohn, dass ich übers Militär nichts Schlechtes sagen kann, außer, dass es wirklich blöde war dauernd umzuziehen. Aber so kapierte ich schon früh, dass jedes Bundesland seine eigene Bildung macht und wie unsinnig das ist. Ich erinnere mich an das Schwimmbad im Fliegerhorst Wunstorf, das wir für 50 Pfennig im Sommer besuchen durften, und an die netten Soldaten am Kasernentor, die trotz regen Durchlaufs jedes Kind aus der Siedlung kannten und mit uns scherzten.
    Meine Kommunion feierte ich in einem Casino, und da servierten uns die Gefreiten soviel Eis, bis uns endlich schlecht geworden war. Dann lachten sie, die jungen Soldaten, die so alt waren wie Maik heute ist, und die schon viele Male durch den Dreck gerobbt waren.
Und meine Mutter ging nicht arbeiten, sondern traf sich oft mit den anderen Soldatenfrauen zum Kaffee, die ihren Männern ebenso klaglos zur neuen Verwendung folgten. Diese Nachmittage waren lustig, auch für uns Kinder. Der Kalte Krieg hatte einige sehr angenehme Seiten. Und ich habe sicherlich einen verklärten Blick auf eine unbefangene Kindheit mit elterlichen Rollen, die jeder tapferen Feministin das Blut in den Adern gefrieren lassen.
    Ich lernte, dass die Bundeswehr unser Land immer verteidigen, aber nie ein anderes angreifen würde. Und dass Politik dafür sorgen soll, dass wir uns nie würden verteidigen müssen. Aber wenn dieser abwegige Fall doch eintreten würde, würden uns kluge, starke Männer beschützen und dem Krieg ein schnelles Ende bereiten. Männer wie mein Vater. In meinen Kinderaugen waren erwachsene Männer nicht nur dazu bestimmt, Frau und Kind zu versorgen, sondern gleich ein ganzes Land vor Schaden zu bewahren.
    In der Oberstufe verkehrte sich mein simples Bild ins komplette Gegenteil. Die umstrittene Aufrüstung der beiden Supermächte mit Mittelstreckenraketen brachte auch mich zur allgemeinen Protesthaltung Anfang der 80er-Jahre. Befehl und Gehorsam waren uns zuwider, und jeder bewaffnete Mensch war einer zuviel. Das ging sogar soweit, dass wir tagelang mit einem aus unserer Klasse nicht sprachen, der ein Medizinstudium bei der Bundeswehr in Erwägung zog. Und ich wollte im Gegensatz zu meiner Mutter auch selbst

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