Muttersoehnchen
arbeiten.
Maik bemerkt kühl: »Das tust du ja nun.« Einen Zusammenhang zu seinem Wehrdienst könne er nicht erkennen. Die Zeiten haben sich eben geändert, und der Russe sei nicht mehr unser Problem. Überdies sei es ihm ziemlich egal, wer was bei der Bundeswehr studieren wolle, aber er glaube, es wären nicht viele, die das vorhätten. Er kenne niemanden. Und er weiß auch nichts über die strategische Ausrichtung der Armee.
Der strategischen Ausrichtung der Bildungspolitik wurden unterdessen zwei neue Ziele hinzugefügt, mit denen unser Maik auch nichts zu tun hatte: die Mädchen- und die Hochbegabtenförderung. Beides war in vollem Gange, und die Verantwortlichen taten dabei immer
so, als wären es bescheidene und längst überfällige Aktionen. Tatsächlich fing es ganz harmlos an mit den Privilegien.
2001 wurde der Girls Day eingeführt, ein Aktionstag, bei dem Mädchen von der Industrie ermutigt werden, sich angstfrei in typischen Männerberufen umzuschauen. Es war eine Initiative der Bundesregierung, die bundesweite Koordinierungsstelle in Berlin beim Kompetenzzentrum Technik-Diversity-Chancengleichheit e. V. angesiedelt. Im ersten Jahr nahmen 1.800 Mädchen teil, im Jahr 2010 waren es schon 123.000. Die Jungen blieben unterdessen im Klassenzimmer zurück.
Die Unterstützung griff messbar, die Zahl der Studienanfängerinnen in technischen Berufen wächst seither stetig. Die Mädchen bekamen immer mehr Rückenwind, aber die Klagen, es seien immer noch viel zu wenige, die sich die typischen Männerberufe zutrauten, verhallen bis heute nicht. So gewinnt man den Eindruck, es handele sich um Ausnahmen. Wie gut für die Mädchen. Dann werden sie noch lange etwas Besonderes darstellen und auf privilegierte Behandlung hoffen können.
Bei der Bundeswehr dürfen die Mädels seit 2001 auch an die Waffen, vermutlich in Kooperation mit dem Kompetenzzentrum für Chancengleichheit. Wer den Panzer konstruieren kann, soll ihn auch fahren dürfen. Das behalte ich aber erstmal für mich. Ich will nicht, dass unsere Mittagsdiskussion eine überraschende Wendung nimmt, wenn ich Maik daran erinnere, dass er auf altersgleiche Mädchen in der Kaserne trifft, zumal ich nicht einschätzen kann, ob es ihn eher abschrecken oder locken würde. Wir haben noch genügend andere Baustellen zu bearbeiten. Rolfs Gegenmeinung beispielsweise. Die muss unbedingt vom Tisch. Ich will einen Sohn, der groß, stark und mutig ist, und einen Mann, der ihm dabei nicht im Weg steht.
Maik hat Recht. Der Bezug zu seiner Entscheidungsfindung ist für mich zweitrangig. Mir geht mein Männerbild flöten, und vor allem das macht mich nervös. Wenn er jetzt kein Mann wird, wann dann? Mir stehen die Zweifel ins Gesicht geschrieben. Mit Macht soll er nachholen, was ich verhindert habe, und ich weiß noch nicht einmal genau, warum. Warum kann ich ihn nicht einfach lassen, wie er ist? Er sieht nicht unglücklich aus.
Ich war kaum anders als andere Mütter, das wäre mir aufgefallen. Ich habe bestimmt und beschlossen, und ich habe mitgemacht bei der kollektiven Selbsttäuschung in der Schule, solange bis sie dem Lande der Dichter und Denker verloren ging. Die schlechten PISA-Ergebnisse überraschten niemanden, aber erschütterten die unentbehrlichen Lehrer, kämpferischen Politiker und uns ehrbare Eltern gleichermaßen. Die Bildungspolitiker handelten schnell, fast schon hektisch: Der Umbau zur Ganztagsschule begann, das Zentralabitur wurde beschlossen und die Schulzeit verkürzt. Die Verkürzung der Gymnasialzeit auf acht Jahre aber hatte mit PISA gar nichts zu tun; sie war schon früher diskutiert worden, weil deutsche Abiturienten vergleichsweise viel älter als sonst irgendwo sind. Aber plötzlich konnte es umgesetzt werden.
Bis dahin schwiegen die Lehrer und wir einvernehmlich über die Misere hinweg und tolerierten es, Defizite privat zu verwalten. Wenn das eigene Kind einigermaßen unbehelligt zum Abitur gelangte, konnte der Studienrat auch weiterhin unbehelligt von bohrenden Zwischenfragen neunmalkluger Eltern seine Litanei runterbeten. Und ob er während des Unterrichts immer im Klassenraum anwesend war oder den Schülern eine Aufgabe stellte, um unauffällig das zu erledigen, wofür ihm der Nachmittag keine Zeit ließ, war auch nicht wirklich entscheidend.
Dass man mit dem erlernten Schulwissen im Leben kaum etwas anfangen kann, haben wir bildungsbegünstigten Erziehungsberechtigten deutlicher erfahren als jede Generation vor uns. Wir haben
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