Muttersoehnchen
viel aus unserer Schulzeit vergessen und das meiste nicht gebraucht. Die Mehrheit arbeitet auch nicht mehr in dem erlernten Beruf. Aber wir sind fröhlich dabei und verdienen gut. Warum also kleinliche Betrachtungen anstellen und sich im Detail verlieren? So verloren die gymnasialen Sachverständigen das Interesse an der Weitergabe grundlegender Bildung in dem Maße, wie sie es mit Eltern zu tun hatten, denen das auch herzlich egal war, wenn dabei nur ein Abitur rausspringt.
PISA störte unsere bewährte Symbiose empfindlich. Um zu zeigen, dass alle Beteiligten das Signal verstanden hatten und die Ergebnisse sehr ernst genommen werden, mischten Lehrbeamte wie Eltern dem kuscheligen Umgang mit dem Nachwuchs immer mehr subtilen
Druck bei. Uns trieb die Sorge um die plötzlich gefährdete Zukunft unserer Kinder, und die Lehrer fürchteten, durch die Vergleichbarkeit könnte mal jemand herausfinden, dass ihr Unterricht doch nicht ganz so optimal lief, dass er vergleichsweise bedeutungslos war, weil sie selbst irgendwann aufgehört hatten, ihm Bedeutung beizumessen. Weil sie ihren Bildungsauftrag schon längst gegen ein Dienstgeschäft getauscht hatten.
Deshalb verkam die Schule zur Diktakratie , als Gegenstück zur Demokratur , wo sich demokratisch gewählte Volksvertreter wie Monarchen verhalten. In der Diktakratie wird nicht gewählt, sondern die Führung qualifiziert sich durch zahlreiche umständliche Prüfungen und ist schon am Platz, wenn die Schutz befohlenen Schüler im System Platz nehmen. Die Schüler sollten demnach einen erprobten Umgang mit allen Inhalten und ihrer selbst erwarten dürfen. Sie sollten auf eine solide Wissensvermittlung hoffen dürfen, und auch darauf, alle halbe Jahre eine brauchbare Bescheinigung über ihren Leistungsstand zu erhalten. Stattdessen wurden die volljährigen Anverwandten, sprich: die Eltern, zum unbedingten Mitreden verpflichtet. Und trafen dabei auf Lehrer, die morgens recht und nachmittags frei hatten.
Die Diktakratie machte uns alle fertig und gedieh dabei selbst immer besser. Sie war ein Resultat der 68er-Bewegung: Eine missglückte Umsetzung der Forderung gleicher Bildungschancen für alle. Jeder sollte mitreden können, wobei doch alle wussten, dass die wichtigen Sachen ganz oben im Ministerium entschieden wurden. Aber der, der nicht mitredete bei allem, was unwichtig war, wurde der Gleichgültigkeit bezichtigt und subtil ausgegrenzt; er stand auf Weihnachtsfesten und in Veranstaltungspausen etwas abseits, nicht im Dunstkreis der Lehrer und des Rektors, die sich ohne Unterstützung des Elternhauses schnell an ihren Grenzen sahen.
Und so verausgabten wir uns in Anlehnung an die Tradition der Grundschule weiterhin bei allem, was den Schulalltag fröhlicher und das Lernen leichter machte. Für unsere Kinder, die jeden Tag mehr so aussahen, als könnten sie das auch allein ganz gut. Also weiterhin vorlautes Geschwafel bei allem Gedöns, das eine gute Lernausgangslage schaffen sollte oder wo es tatkräftig handwerklicher und großzügig finanzieller Unterstützung bedurfte, es in Wirklichkeit aber um nichts ging.
Auch ich fühlte mich gut und hatte den Eindruck, Wichtiges beigetragen zu haben, wenn ich konsensorientiert über das Ziel des nächsten Wandertages mitreden konnte und sitzfreundliche Schwabbelkissen befürwortete, die vornehmlich die männlichen Störbrocken auf ihren Stühlen etwas zur Ruhe bringen sollten. Die Studienräte waren gut vorbereitet auf ihre gebildete Elternschaft und benutzten ein einfaches Mittel, sie zum Schweigen zu bringen: den sanften Ton des freiwillig Gebenden. Eltern werden eingebunden und mitgenommen, Schüler werden abgeholt. Die verschwurbelte Sprache des Trendberufes der 90er, der Unternehmens- und Kommunikationsberater, hatte die Schule erreicht. Ich wurde eingebunden, in dem ich meine beiden Schüler abholte, und ich nahm alle Bücher mit, die auf dem zweiten Bildungsmarkt zur Nachmittagslektüre angeboten wurden. Als Mama war ich nun vollzeitig im Shuttleservice und in der Nachhilfe tätig.
Um das bedeutungslose Nichts ließ es sich wundervoll diskutieren, es tat nicht weh und lenkte hervorragend ab von jedermanns Ohnmacht in den überstrapazierten Strukturen. Dass ein Elternabend aber immer bis halb elf gehen musste, ermüdete sogar mich irgendwann. Als der Hausmeister als Hinweis auf seinen überzogenen Feierabend einfach mal das Licht ausknipste, waren ihm die meisten dafür dankbar. Der nächste Elternabend begann dann
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