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Muttersohn

Muttersohn

Titel: Muttersohn Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Martin Walser
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alles geladen, was der Professor mitnehmen wollte. Er hatte Kirki durch den Pfleger Alfons eine Liste bringen lassen, darauf stand alles. Auch die vielen Schachteln mit Innozenz’ Papieren waren am Tag vor dem Umzug eingeladen worden. Dann ging’s aufs Alte Tor zu. Und an der Klosterwiese entlang. In den uralten Bäumen führten die Vögel ihr Frühkonzert auf. Dann noch am Kriegerdenkmal vorbei. Da durfte Percy doch daran denken, dass er einmal mit dem Professor vor dem Stein stehengeblieben war, als sie auf dem Weg ins Spankörble gewesen waren. Dem Professor war nicht anzusehen, ob er jetzt daran dachte. Aber dann, als sie durchs Alte Tor hinausfuhren, sagte er: Ite missa est. Und als hätten sie’s geübt, sagten Innozenz und Percy einstimmig: Deo gratias.
    Dann wurde wieder geschwiegen, bis Percy kurz vor Ostrach sagte: Scherblingen im Walde.
    Und es war natürlich Massimo, der die Grenze ankündigte und laut lachte, weil da keiner mehr kontrollierte. Da er sich inzwischen als den erlebte, der alles ansagen musste, obwohl ihm das mehr Mühe machte als jedem anderen, war er es, der rief: Wir fahren über den Rhein. Bis er das herausbrachte, waren sie natürlich längst drüben. Der Professor sagte sehr deutlich: Secure deinceps. Da ging schon eine Schranke hoch. Sie hielten vor der Kirche, vor zwei übermäßigen Türmen, zwischen denen eine Fassade um Geltung rang. Auf beiden Türmen Engel mit goldenen Posaunen. Und ein Klosterhof, in den die ganze Scherblinger Anlage zweimal hineingepasst hätte. Sie kamen aus einem Quartier der Bescheidenheit in eins der Pracht.
    Massimo schaute auf die Uhr, rief: Ecco! Und stieg aus. Und begrüßte den, der da stand und auch auf die Uhr schaute. Enrico Federer. Der Hausmeister. Ein Italienisch hin und her, zum Aufatmen. Dann löste sich Enrico Federer aus Massimos Redefluss und sagte:
    Willkommen auf unserer Insel! Der Herr Nationalrat lässt Sie grüßen. Morgen kommt er, um Sie selber willkommen zu heißen. Er wäre so gern heute selber hier gestanden, aber ein unvorhergesehener Besuch von Gorbatschow ist ihm dazwischengekommen. – Hört ihr. Und zeigte hinauf zu den zwei Engeln. Der Wind geht, die Posaunen tönen! Zu eurem Empfang.
    Tatsächlich kam von dort oben ein Ton. Oder waren es zwei? Zwei schwankende Töne. Ja, sagte der Professor. Wir sind willkommen.
    Jetzt die Pferde, sagte Enrico Federer dann zum Professor. Er war offenbar über alles informiert. Sobald die Pferde festen Boden unter den Füßen hatten, zog ihnen der Professor die Socken aus und führte sie hinter dem Hausmeister her zu einem ganz eingewachsenen Holzbau mit umzäuntem Garten. Das sei einmal das Freizeitquartier des Verwaltungsdirektors gewesen, sagte Enrico Federer. Dann führte er die Ankömmlinge in eines der unabsehbar langen Gebäude, drinnen an riesigen, dröhnend leeren Küchen vorbei, zu einem Aufzug, droben im zweiten Stock einen Gang entlang zu einem Raum, der deutlich ein Empfangszimmer war, ein vornehmes, Teppich, Tapeten, Bilder, aber es ging gleich weiter in einen viel größeren Raum, für einen Salon zu groß, für einen Saal zu fein, zu prachtvoll. Tiefgrüne Wände, schwere Bilder, fromme Figuren, verwunschene Schränke, ein gewaltiges Stuck-Wappen an der Decke. Hier hat der Abt residiert, als Rheinau noch ein Kloster war, sagte Enrico Federer. Nachher der Ärztliche Direktor. Aber die hundert Jahre mit Ärztlichen Direktoren haben dem Raum nichts anhaben können. Bitte, Platz zu nehmen.
    Der Professor, Percy, Innozenz, Massimo und Luigi setzten sich an den Oval-Tisch mitten im Raum. Aber keiner setzte sich auf den Stuhl an der Schmalseite des Tischs. Das war der Stuhl für einen Vorsitzenden. Enrico Federer stellte sich hinter diesen Stuhl und sagte, Herr Nationalrat Müller-Sossima habe gewünscht, dass sie heute und morgen im Abtszimmer speisen sollten, ab übermorgen in der Kantine im ersten Stock.
    Da schob schon ein Ober den Wagen mit Speisen herein und trug auf. Enrico Federer wünschte einen guten Appetit und ging. Er ging aber rückwärts und drehte sich erst an der Tür um. Und sein Rückwärtsgehen wirkte eher sportlich als unterwürfig. Dass diese Ehrerbietung dem Professor galt, war deutlich genug. Der Professor saß so, dass er dem Rückwärtsgehen zusah.
    Der Ober fragte jeden, was er zu den Spargeln wolle: Fleisch, Fisch oder Pfannkuchen. Percy, Innozenz und der Professor nahmen Pfannkuchen. Massimo und Luigi Fleisch.
    Als alle gegessen hatten, setzte man

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