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Muttersohn

Muttersohn

Titel: Muttersohn Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Martin Walser
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sie die Geräte ansetzten, sagte er sofort: Ich will nicht mehr. Ach so, sagten die, dann brechen wir ab. Nein, schrie der Gefolterte, bitte nicht!
    Mein Gott, sagten jetzt alle, die um ihn herumstanden, du bist wirklich ein Luxustyp.
    BIS BALD . IN LIEBE . A. F.

1.
    Scherblingen im Walde, sagte Percy, als sie kurz vor Ostrach aus dem Wald hinauskamen. Jetzt begreife er das i.W. hinter dem Ortsnamen. Der Professor sagte nichts. Innozenz sagte: Bloß gut, dass sie
im Walde
schreiben und nicht
im Wald
. Da mischte sich Massimo ein. Massimo Attanasio, der den Umzugstransporter steuerte. Er sagte: Der mächtigste Mann von ganz Scherblingen, der Professor Wohlwender, der habe dem Oberbürgermeister sagen lassen, wenn sie das -e streichen, verlege er die Wohlwender-Werke nach Brauchlingen oder nach Rumänien. Dann wäre Scherblingen pleite. Das war, was Massimo sagte. Das aber anzuhören, war eine Qual. Sein Mund schien sich immer wieder zerreißen zu müssen, um noch ein Wort herauszubringen.
    Percy, der direkt neben ihm saß, musste ihn unwillkürlich streicheln. Aber Massimo wehrte das, stotternd, ab. Hilft nichts, sagte er. Nichts hilft. Soltanto parlare italiano.
    Obwohl Massimo das Sprechen am schwersten fiel, war er der, der während der Fahrt am meisten redete. Immer wenn eine Weggabelung oder eine Kreuzung auftauchte, sagte er, warum er jetzt nicht den Weg über Tuttlingen, Geisingen, sondern den über Sigmaringen, Meßkirch nehme. Auch kannte er alle Burgen und Schlösser, an denen man vorbeifuhr, ohne hinzuschauen. Er nannte die Namen der Herrschaften und sagte dazu, wofür sie bekannt seien. Und auch noch dazu, warum er, der Sizilianer, so viel über Burgen und Schlösser dieser Gegend wisse. Gertrude, seine Frau, die ja bekanntlich nicht nur die Geliebte des technischen Direktors bei Wohlwender ist, sondern auch die Geliebte von jedem, der in Scherblingen über hunderttausend im Jahr verdient, Gertrude hat ihn jahrelang in dem Haus, das Massimo selber gebaut hat, im Keller eingesperrt, wenn sie oben ihre Herren versorgte. Da hat er in der Sauna und in der Kellerbar, die er selber gebaut hat, gelesen. Am liebsten historisches Zeug. Dann hat er immer gewusst, jetzt ist droben Gertrude mit einem Hohenzollern oder Zähringer oder Fürstenberger, über den er gerade las, zugange. Das habe sie ihm nachher auch noch erzählt. Stolz. Wieder ein Wittelsbacher, ein Württemberger. Und hätte verlangt von ihm, dass er auch stolz sein soll, weil seine Frau solche Heroen kriegt. Lustig war es trotzdem nicht. Wenn der Professor nicht gewesen wäre, hätte er Gertrude umgebracht. Ganz sicher. Und hätte höchstens fünf Jahre gekriegt. Wie sie ihn behandelt hat! Der Professor hat ihn auf andere Gedanken gebracht. Die Bücher über Burgen und Schlösser hat er ja vom Professor. Schon dreiundzwanzig Jahre kennen sie einander, der Professor und er. Vor dreiundzwanzig Jahren kommt er aus Sizilien herauf nach Scherblingen, niemand hat ihn so aufgenommen wie der Professor. War im Winter. Dem Professor geht die Heizung kaputt. Und auch noch ein Wochenende. Er hat aber dem Professor schon vorher einen verstopften Abfluss repariert, er hat ja in Scherblingen als gelernter Installateur angefangen, trotzdem ruft der Professor ihn an, weil ihm der Heizkessel gestreikt hat. Und er nichts wie hin und alles repariert. Seit dem ist er beim Professor für alles zuständig. Inklusive Garten. Da war er gerade mit Gertrude frisch verheiratet. Auf dem Rummel an einander geraten, sie die Schönste, er auch nicht krumm, getanzt mit einander, dass die anderen stehengeblieben sind, sie gleich schwanger von ihm, Zwillinge. Sein Stottern hat sie zuerst für Italienisch gehalten. Deutsch ist ein Drahtverhau. Kommst du nicht durch. Italienisch hat sie abgelehnt. Sein Stottern ist ihr auf die Nerven gegangen. Er hat ihr das Haus gebaut. Sie hat ihre Herren gehabt. Feine Herren. Inklusive technischer Direktor bei Wohlwender. Er schafft sich zu Tode. War sein Ziel damals. Wenn er sie nicht umbringen darf, schafft er sich zu Tode. Basta. Jetzt haben sie ihm eine Batterie hineinoperiert. Dass er ewig leben soll. Zum Glück hat er Kirki gefunden. Natürlich beim Professor. Mit ihr kann er sprechen. Griechisch. Hat doch fast vier Jahre auf griechischen Schiffen gearbeitet. Er könnte jede Sprache lernen. Außer Deutsch. Das liegt an Gertrude. Die hat sich von Anfang an die Ohren zugehalten, wenn er deutsch gesprochen hat. Aber sie ist, wenn sie abgehauen

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