Muttersohn
werden muss.
Schweigen.
Sie haben sicher keinen Haftbefehl dabei. Ich werde nicht zu fliehen versuchen. Ehrenwort. Das Kreuz nehmen Sie mit und bringen es ohne Umwege in die Sakristei. Ich habe die Monstranz entführt, um die Scheinheiligkeit bemerkbar zu machen. Sollte man mich in einen Gerichtssaal stellen, werde ich reden wie jemand, der sich nach einem Martyrium sehnt, das ihm vorenthalten wird. Was überhaupt geschehen wird, hängt nur davon ab, ob Dr. Bruderhofer jetzt den Kampf beendet. Ich erwarte, dass er weitermacht. Es genügt ihm nicht, mein Nachfolger zu werden. Er glaubt an seine Psychopharmaka. Die sind Zerstörung ohne Heilung. Solange ich bin, fühlt er sich angegriffen. Deshalb muss er mich vernichten. Wenn das Kreuz bei mir hätte bleiben können, hätte Dr. Bruderhofer keine Chance gehabt, mich zu vernichten. Kurze Zeit war ich ein Sieger. Ich werde nicht vergessen, wie es sich anfühlt, ein Sieger zu sein. Damit muss Dr. Bruderhofer rechnen. Tag und Nacht. Ich bin der Pfahl in seinem Fleisch. Ob ich will oder nicht. Jetzt bitte ich Sie zu gehen. Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit.
Ich stand auf, verließ das Zimmer, ging ins angrenzende Schlafzimmer und legte mich aufs Bett. Dass die zwei gingen, hörte ich, stand aber auf, um durch das Fenster zu sehen, ob sie tatsächlich gingen. Interessant. Sie standen an ihrem Auto. Der, der das Kreuz trug, legte es in den Kofferraum, setzte sich ins Auto, fuhr ab. Der andere ging auf die andere Straßenseite und lehnte sich an einen Baum. Eine Linde. Der blieb also. Sie trauten mir nicht. Sie glaubten mir nicht.
Noch am selben Tag kamen zwei Ärzte und zwei Pfleger. Einer der Pfleger war Einaug Alfons, einer der Ärzte Dr. Häuptle. Sie baten mich, mitzukommen. Es war Alfons, der mich ansprach. Er führte mich hinaus zu dem großen Notarztauto. Ich wurde einquartiert in K VII , das wir die
Burg
nennen. Der zweite Arzt, der bis jetzt noch nichts gesagt hatte, sagte jetzt: Nach einer gründlichen Untersuchung werde zu entscheiden sein, ob ich schuldfähig sei. Dr. Häuptle, der noch nichts gesagt hatte, sagte dann, es spreche alles dafür, dass ich nicht schuldfähig sei. Eine öffentliche Gerichtsverhandlung sei nicht im Interesse der Kirche und der Klinik.
Ich sagte nichts. Dann gingen sie. Alfons gab mir noch die Hand.
Eva Maria wird es erfahren. Alles. Mir kam es jetzt vor, als sei alles nur geschehen, dass es von ihr bemerkt werde. IN LIEBE BIS BALD .
DAS UNERKLÄRLICHE
DIE ANZIEHUNGSKRAFT DES UNERKLÄRLICHEN IST DIE MACHT DES UNERKLÄRLICHEN . DAS UNERKLÄRLICHE IST IMMER SCHON , WO DU BIST . KEIN MENSCH KANN DEM UNERKLÄRLICHEN GEGENÜBER STUMM BLEIBEN , ER SPRICHT ES AN . ER SAGT IHM INS NICHT VORHANDENE GESICHT , WAS ES SEI . DAS UNERKLÄRLICHE SCHWEIGT VERNICHTEND . DEM , DER AN DAS UNERKLÄRLICHE HINREDET , WEIL ER DAS UNERKLÄRLICHE ALS SOLCHES NICHT ERTRÄGT , IST WÄHREND SEINES DAHINREDENS KLAR , DASS NICHTS VON DEM , WAS ER REDET , ERKLÄRUNG HEISSEN KANN .
DIE UNERKLÄRLICHKEIT HAT KEINE MIMIK , KEINE ATMOSPHÄRE . SIE VERWEIGERT AHNBARKEIT . VERWEIGERT IST SCHON ZU VIEL GESAGT . SIE HAT KEINE GESTEN , AUS DENEN SICH ETWAS SCHLIESSEN LIESSE . SIE HAT NICHTS . SIE IST NICHTS . NICHTS ALS UNERKLÄRLICHKEIT . SIE IST KEIN RÄTSEL , KEINE PARABEL , KEINE METAPHER . SIE WILL NICHTS SEIN . SIE IST DIE UNERKLÄRLICHKEIT . ALS SOLCHE IST SIE DAS MÄCHTIGSTE , DAS ES GEBEN KANN .
SAG GUTE NACHT ZU IHR . SIE HAT KEINE OHREN . SIE IST UNANSPRECHBAR . SIE NIMMT NICHTS WAHR . SIE IST AN NICHTS INTERESSIERT , AUCH NICHT AN SICH SELBST . SIE WEISS NICHTS VON SICH . SIE WEISS NICHT , DASS SIE DIE UNERKLÄRLICHKEIT IST . DAS WEISST NUR DU .
DU KOMMST DEM UNERKLÄRLICHEN NICHT NÄHER . DAS UNERKLÄRLICHE BLEIBT VERSCHLOSSEN . ES MACHT DIR KEINE HOFFNUNG . TROTZDEM HOFFST DU UNUNTERBROCHEN , DASS DU ERFÄHRST , WAS DU ERFAHREN MUSST . DU KÖNNTEST , WENN DAS UNERKLÄRLICHE SO UNERKLÄRLICH BLIEBE , WIE ES JETZT IST , NICHT LEBEN . MIT DEM UNERKLÄRLICHEN KANN MAN NUR LEBEN , WEIL MAN AUF DIE ERKLÄRUNG HOFFT .
Als der Gefolterte sagte: Ich will nicht mehr, lachten die Folterer. Nicht alle lachten. Einige machten Gesichter, als machten sie sich Gedanken. Es war noch nie so wichtig, sagten die, die sich Gedanken machten, dass wir den Kontakt mit dem, den wir foltern, nicht verlieren. Er war sofort bereit, sich weiter foltern zu lassen. Lustig war das nicht, aber er wollte es auf sich nehmen. Als sie wieder anfingen, schon als
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