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Muttersohn

Muttersohn

Titel: Muttersohn Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Martin Walser
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wie meine Gedanken jetzt von mir beherrscht wurden, lächelte ich im Geiste über meine Fragen und noch mehr über meine Zweifel. Der Glaube schien mir weit über Denken und Verstehen erhaben. So kam ich zum Frieden. Gott bewahre mich in ihm, denn alles ist sein Werk. Nichts ist mein Werk, denn selbst meine besten Gedanken zerstören mir mehr, als sie mir gewinnen. Hat man aber Gnade, so lächelt man über sich selbst, wenn man ungläubige Gedanken hat, oder wenn man den Glauben mit dem Verstand beweisen will. Darum ist es höher, vielleicht das Höchste, wenn der Mensch die Gnade empfängt, dass er seinen Verstand gar nicht in Glaubensdinge mischt.
    Ich erkenne aber hieraus, wie schwer es die Gelehrten gegenüber den Ungelehrten haben, über ihr Denken hinaus zu diesem vollen Glauben zu gelangen, in dem sie über sich selber und ihr Denken lächeln. Denn zuerst muss die Anbetung des eigenen Verstandes vertrieben und vertilgt werden. Das aber ist Gottes Wirkung und nicht Werk der Menschen. Auch ist es Gottes Werk, wenn man in diesem Zustande verharrt. Der Glaube ist also von unserem Verstande getrennt und steht über ihm. Dies ist der reine Glaube, der andere, der mit dem Verstande vermischte Glaube, ist unrein. Man muss seinen Verstand unter den Gehorsam des Glaubens beugen. Man muss glauben, weil Gott, der die Wahrheit selber ist, sich uns offenbart hat. Man muss einsehen, dass wir sein müssen wie Kinder. Dass die Verstandesbeweise den Glauben schädigen, sieht man daraus, dass der Verstand nur bis zu Wahrscheinlichkeiten gelangt und Beweise die Art haben, stärker oder schwächer, aber nie gewiss zu sein. Denn die Betätigungen unseres Verstandes sind immer Zweifeln unterworfen und verdunkeln so das Licht des Glaubens. Aber der Glaube ist Gottes Gabe, die man nur empfängt, wenn man nach Gottes Befehlen lebt und ihn inständig darum bittet.
    Percy merkte, dass Gretel Strauch erschöpft war. Lass uns noch ein bisschen liegen, sagte er. Als sie lagen, schlief Gretel Strauch gleich ein. Er schloss die Augen, bis sie wieder wach war. Es war früher Morgen. Er sagte, jetzt sei Text genug da für ein paar Wochen. Wie vor zwei Jahren: Wir müssen die Texte nicht ernst nehmen. Wir sagen sie auf, weil sie uns gefallen. Wie es ihnen dann in uns ergeht, wird sich zeigen.
    Gretel Strauch sagte, sie sei ja eigentlich verstummt.
    Das sind Texte für Verstummte, sagte er.
    Sie gehen einen nichts an, sagte sie.
    Deshalb kann man sie hundertmal aufsagen, sagte er.
    Es ist ein Sport, sagte sie.
    Gretel Strauch, das hast du toll gesagt, sagte er.
    Und sie: Du stehst felsenfest und bist doch nicht erkennbar; Du Unwandelbarer wandelst alles; bist niemals jung, niemals alt; Du ernennst alles und gibst die Hochmütigen der Vergänglichkeit preis, ohne dass sie’s fassen.
    Dann standen sie auf und gingen hinunter. Als er sie draußen losließ, sagte sie: Non sum. Er gratulierte ihr. Er blieb stehen, bis sie ging. Er sah ihr nach und bildete sich ein, ihre Schritte seien sicherer als vor zwei Tagen. Und ihr Blick, als sie Non sum sagte, war hell. Von Stimmen keine Spur.

10.
    Es ist, als wenn eines Nachts alle Sterne plötzlich auf dich zielten. Sagte der Professor. Dann nichts mehr. Das war so zwischen ihnen. Gesprochen wurde nur, wenn einem danach war. Das Scherblinger Schweigen. Sie saßen nicht neben einander auf der Polsterbank wie beim Musikhören. Der Professor hatte Percy sich gegenübergesetzt.
    Dann sagte er: Nachts der Andrang der Sterne. Der blendende Hauch.
    Dann: Percy, ich bin so unsicher. Soll ich dir das vor dem Film sagen oder nach dem Film?
    Du hast ja schon angefangen, das heißt doch, dass du es mir vor dem Film sagen willst, sagte Percy.
    Der Professor: Ich sollte dich aber nicht schon vorher beeinflussen. Damit wird, wie du nachher auf den Film reagierst, weniger wert.
    Percy konnte leichthin sagen: Wenn wir das wissen, wird die Reaktion vielleicht doch noch was wert.
    Der Professor schwieg. Dann redete er weiter: Es war im Sommer 70. Ich war schon Assistenzarzt in den Schmieder-Kliniken. Richard Sandro von Wigolfing war Patient, harmlos. Zyste im Innenohr. Wir wurden Freunde. Er lud mich ein auf sein Schloss, zwischen Schaffhausen und Stein am Rhein, auf der deutschen Seite. Meine Freundin Eva Maria habe ich mitbringen dürfen. Graf Richard war gerade frisch geschieden. Drei Wochen später heirateten sie, Eva Maria und der Graf.
    Zwei Jahre nach dem Graf Richard Sandro in der Eiger-Nordwand verendete, heiratete

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