Muttersohn

genäht wird, agitier ich ein bisschen drauflos. Zur sinnlosen Rühmung der Gerechtigkeit. Adieu.
     
    Das war’s, sagte Percy.
    Er stand auf und sagte leichthin: Den Alten hatten wir ewig am Hals. Immer wenn er wieder irgendwo rausgeflogen war, stand er bei uns vor der Tür. Und Mutter Fini machte auf. Sie konnte nicht anders. Dass er uns, sobald er besoffen war, aus dem Haus schmiss, nahm sie hin, weil er es ja nur tat, weil er besoffen war. Aber bevor er uns rausprügelte, redete er noch. Immer die gleiche Rede. Er nannte sie Evangelium. Außer Schmidt nichts. Und mit Schmidt alles verachtenswert. Und seine Frau ist das Verachtenswerteste überhaupt. Und wenn sie noch einmal den Namen des Allergrößten in ihren unwürdigen Mund nimmt, bringt er sie um. Das heißt, wenn sie ihn so weit bringt, dass er sie umbringt, straft sie ihn mit sechs, sieben, acht Jahren Knast! Sag sie nicht noch einmal, dass sie ihn liebe! Wenn sie ihn liebte, würde sie sich selber umbringen, anstatt ihn zu zwingen, sie umzubringen. Sterben muss sie, noch heute, also bitte, tu sie es selber. Jede Frau, die ihren Mann liebt, kann das nur dadurch beweisen, dass sie sich selber umbringt. Eine Frau, die sich nicht umbringt, soll mir nicht davon reden, dass sie ihren Mann liebt. Lieb mich, also bring dich um! Und fing an, auf sie einzuschlagen, sie riss mich an sich, wir rannten hinaus, hinüber über die Neckarstraße und vor und wieder hinüber ins Palmbräu. Dort musste sie Herrn und Frau Schultheiss noch daran hindern, dass die die Polizei riefen. Am Sonntagabend gingen wir zurück und räumten auf. Er lag meistens in seinem Gekotzten und schlief. Ab Montag war er wieder der liebste Mensch der Welt. So ging das, bis er starb. Da war’s 1990. Ich zwölf. Mutter Fini ging ein Jahr lang schwarz. Mir hat sie von Anfang an gesagt, dass Arno nicht mein Vater sei. Zum Glück, sagte sie, sooft sie das sagte, zum Glück haben wir keinen Mann gebraucht. An dich hat sie, sobald ich da war, nicht mehr geschrieben. Aber mit dem, was sie vorher geschrieben hatte, habe ich lesen gelernt.
    Ewald Kainz sprang auf, schlüpfte schnellstens in seine Schuhe, stand jetzt vor Percy. Percy stand nicht auf. Aber weitersprechen konnte er auch nicht. Ewald hatte das Handy auf seinen Nachttisch gelegt. Ging zurück zum Bett. Setzte sich aufs Bett, zog die Beine an und sah auf die Wand. Percy saß noch eine Zeit lang, dann stand er auf und sagte: Tu autem. Und ging. Ging wie immer. Und war froh, dass Ewald nichts gesagt hatte.
    Percy fühlte sich wohl. Er hatte keine Lust, sein Wohlgefühl zu buchstabieren. Dazu fühlte er sich einfach zu wohl.

9.
    Dann standen sie wieder vor der Tür der Zehntscheuer, er schloss auf, nahm ihre linke Hand, die hart war, aber nicht mehr so kalt, und ging mit ihr hinauf in den vierten Stock. Sie legten ihre Sachen neben der Tür auf den Boden, zogen ihre Schuhe aus und gingen wieder barfuß ihre Bahn, die Percy ihren Seelentrott nannte.
    Er stimmte wieder an: Erhabenster, Gütigster, Machtvollster, Allgewaltigster, Erbarmungsreichster und Gerechtester, Verborgenster und Allgegenwärtigster, Lieblichster, Kraftvollster!
    Und sie fuhr fort:
    Du stehst felsenfest und bist doch nicht erkennbar; Du Unwandelbarer wandelst alles; bist niemals jung, niemals alt; Du ernennst alles und gibst die Hochmütigen der Vergänglichkeit preis, ohne dass sie’s fassen.
    Und er:
    Du bist immer geschäftig, immer ruhig, geeint und bedürfnislos, tragend, erfüllend und behütend, wirkend, sättigend und beschließend und ewig suchend, obwohl Dir nichts ermangelt.
    Und sie:
    Du bist die leidenschaftslose Liebe; Du bist der ruhige, milde Eifer; Deine Reue ist schmerzlos.
    Und er:
    Was aber bringe ich vor mit alle dem, mein Gott, mein Leben, Du meine heilige Wonne?
    Und sie:
    Welchen Wert haben überhaupt unsere Worte, wenn man von Dir redet?
    Und er:
    Und dennoch.
    Und sie:
    Weh denen, die Dich verschweigen.
    Und er:
    Ihr Schweigen ist gar zu beredt.
    Jetzt Swedenborg, Gretel Strauch, Emanuel Swedenborg. Aus seinem Traumtagebuch aus dem Jahr 1744.
    Wenn du nicht mitsprechen willst, sprichst du einfach nicht mit. Mir wär’ es lieber, wenn du mitsprechen würdest. Ich höre in den Sätzen, wenn du sie sagst, etwas, was ich, wenn ich die Sätze sage, nicht höre. Gar nicht mitkriege. Und fing an:
    Ich erwachte und entschlummerte mehrere Male, und alles war Antwort auf meine Gedanken. In allem war ein solches Leben, und solche Herrlichkeit war in allem, dass