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Muttersohn

Muttersohn

Titel: Muttersohn Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Martin Walser
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ich nicht das Geringste beschreiben kann. Dann alles Geheime war mir da klar, ich konnte es aber nachher nicht darstellen. War, um alles mit einem Worte zu sagen, im Himmel und hörte Reden, von deren Herrlichkeiten und innigen Köstlichkeiten keine Menschenzunge aussagen kann. Dabei war ich wach in einer himmlischen Ekstase, welche unbeschreiblich ist. Wie ein Strahl kam mir die Erkenntnis, dass es das größte Glück sei, Märtyrer zu werden. Die unbeschreibliche Gnade, mit Gott in Liebe vereint zu sein, erweckt den Wunsch, diese Pein erleiden zu dürfen, die nichts gegen die ewige ist. Das Leben zu opfern wäre das Geringste. Ich hatte auch in meinem Sinn und in meinem Körper ein Gefühl unbeschreiblicher Freude. Wenn sie einen noch höheren Grad angenommen hätte, wäre der Körper vor lauter Freude vergangen.
    Als ich zwischen acht und neun Uhr abends von den Wundern las, die Gott durch Moses getan hat, merkte ich, wie sich mein Verstand einmischte, sodass ich den starken Glauben nicht fühlen konnte, wie ich gemusst hätte. Ich glaubte und glaubte doch nicht. Erkannte daran, warum sich Gott und die Engel den Hirten erzeigten und nicht den Philosophen, weil die mit ihrem Verstande dazwischenkommen und fragen, wie es zuging. Ich schlief darauf ein, und ungefähr um zwölf, eins oder zwei in der Nacht überkam mich wieder starkes Zittern vom Kopf bis zu den Füßen, begleitet von einem Donnergetöse, als entlüden sich viele Gewitter. Ich wurde auf unbeschreibliche Weise hin und her geschüttelt und auf mein Angesicht geworfen. In dem Augenblick, als ich hingeworfen wurde, war ich ganz wach und sah, dass ich hingeworfen wurde. Wunderte mich, was das zu bedeuten hätte, und sprach, als sei ich wach, merkte aber, dass mir die Worte in den Mund gelegt wurden: «O allmächtiger Herr Jesus Christus, der du aus großer Gnade dich herablässest, zu einem so großen Sünder zu kommen, mach mich der Gnade würdig!» Ich faltete meine Hände und betete, und da spürte ich eine Hand, die meine Hände fest drückte. Ich erkannte, dass ich unwürdiger als andere und der größte Sünder sei, da unser Herr mir gegeben, in gewissen Dingen tiefere Gedanken zu haben als viele andere. Dort aber, in den Gedanken, aus denen die Taten kommen, entspringt die Sünde. Daher kommen meine Sünden aus tieferem Grunde als die vieler anderer. So erkannte ich meine Unwürdigkeit und erkannte, dass meine Sünden größer waren als die der anderen. Denn es genügt nicht, dass man seine Unwürdigkeit bekennt, denn dies sieht der Herr nicht an, da es auf Heuchelei beruhen kann. Aber einzusehen, dass man unwürdig ist, das ist Gnade des Geistes.
    Das sagte er ihr so lange, bis sie es nachsagen konnte.
    Weiter:
    Diese Nacht schlief ich ganz ruhig. Gegen drei oder vier Uhr erwachte ich und lag wach, aber wie in einer Vision. Ich konnte die Augen öffnen und wach sein, wenn ich wollte, war also wach, aber doch im Geiste. Ich war von innerer Freude erfüllt, die ich am ganzen Körper empfand. Alles schien mir auf eine übernatürliche Art emporzudrängen, gleichsam in die Höhe zu fliegen und dort im Unendlichen in einem Mittelpunkt zu münden. Hier in dieser Mitte war der Ort der Liebe selbst. Von hier floss alles wieder aus und strömte hernieder; alles war ein unfassbares Kreisen um den Mittelpunkt, der die Liebe war. Ich erkannte, und sah es gestern im Geiste, und durch eine Art geistiger Lichtschrift wurde es mir offenbart, dass der Wille das Denken am meisten beim Einatmen beherrscht, da nämlich dann die Gedanken vom Körper aus dem Denken einströmen. Beim Ausatmen aber werden sie gleichsam hinausgetrieben und so geläutert. Somit sind die Gedanken dem selben Wechsel wie die Atmung der Lungen unterworfen, da die Einatmung durch den Willen, die Ausatmung durch die Natur bestimmt wird, und wechseln mit jedem Atemzuge. Kommen böse Gedanken, so braucht man nur den Atem anhalten, dann sind sie fort. Auch das ergiebt sich daraus, dass man in der Ekstase den Atem anhält, wo die Gedanken uns wie völlig entschwunden sind.
     
    Als sie das nachsagen konnte, fuhr er fort:
    Allmächtiger Gott, ich bitte dich um die Gnade, dein sein zu dürfen und nicht mein. Es ist nichts mein Werk, sondern alles ist der Wille des Herrn. Ich bitte dich, Gott, um die Gnade, dir zu gehören, damit ich mir nicht selber überlassen bleibe.
    Endlich wurde mir die Gnade des Geistes verliehen, dass ich bedingungslosen Glauben empfing und Gewissheit erlangte. Da ich nun sah,

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