Muttersohn
wert. Dass ich es nicht wert bin, hat man mir beigebracht. Ich bin eine Wichtigtuerin, die zu viel gelesen und zu wenig verstanden hat. Ihren Mann in Ruhe zu lassen, habe ich mir vorgenommen. Die Briefe, die ich Ihnen schreibe, zerreiße ich nicht. Ich komme um Ihren Mann nicht herum. Ich muss Ihnen Ihren Mann abjagen. Da haben Sie wieder die gewöhnliche Ausdrucksweise einer Arbeiterin, die viel gelesen hat, und sich auszudrücken, hat sie nicht gelernt. Ich bin vierzig. Meinen Mann habe ich durch die Zeitung suchen müssen. Er hat sich, als er mich dann hatte, nur noch geschämt. Er hat Abitur. Er ist arrogant. Und echt blöd. Lassen Sie Ihren Mann über sich bestimmen? Ich habe meinen Mann über mich bestimmen lassen müssen. Er ist krank, gefährlich, einfach ein Idiot, hat mich allmählich nur noch an Idi Amin erinnert. Wir sind auseinander, zum Glück. Trotzdem tut es weh, so auseinander zu sein. Reden Sie doch einmal mit Ihrem Mann über mich. Das würde mich freuen. Ich kann natürlich keinem Mann gefährlich werden. Ihrem Mann schon gar nicht. Ich bin weder schön noch gebildet. Ganz dumm ist es, dass ich, weil ich so auf Ihren Mann fixiert bin, andere Männer uninteressant finde. Schildern Sie mir, bitte, Ihren Mann, dass ich endlich weiß, auf wen ich fixiert bin. Dann könnte ich mich vielleicht einem anderen Mann zuwenden. Ihr Mann hat mit anderen Frauen geschlafen. Das sah ich ihm an. Warum also nicht auch mit mir.
In der letzten Nacht ist er mir nahegekommen. Wie noch nie. Es ist alles passiert, was zwischen einem Mann und einer Frau passieren kann. Ich werde ein Leben lang von dieser Nacht leben.
Mit diesen Blättern, die eine andere Frau schrieb, verabschiede ich mich von Ihnen. Natürlich bin ich geisteskrank. Und dämlich obendrein. Aber so dämlich, wie Sie glauben, dass ich sei, bin ich vielleicht doch nicht. Vergessen Sie nicht: Es ist morgens, halb drei. Ich schreibe im Hauptbahnhof. Ich liebe Bahnhöfe. Und Ihren Mann. Der hat ja auch was von einem Bahnhof. Aber das kapieren Sie nicht. Sie haben keine Ahnung von Ihrem Mann. Darum bleibt er bei Ihnen. Und das ist zum Verrücktwerden. Morgens über den Schlossplatz. Jeder Schritt Lust. Jeden Schritt spür ich im Geschlecht. Das ist zum Verrücktwerden. Wenn ich nicht schon verrückt wäre. Oh, wenn ich doch noch jung und schön wäre. Beides war ich. Jung und schön. Schöne Beine, das sagten alle. Nur dass Sie’s wissen. Was mir passiert ist. Entweder Sie haben Riesenmyome im Bauch, oder Sie sind in anderen Umständen. Sagte der Frauenarzt. Ich sagte: Ihre anderen Umstände können Sie sich an den Hut stecken. Dann müssen Sie sich mit dem Tod vertraut machen, sagte er. Da ich vom Tod absolut nichts wissen will, sagte ich, dass ich dann lieber schwanger sei. Draußen, auf der Straße, machte ich Hochsprünge. Es hob mich von selbst in die Luft. Ich kann es nur Jubel nennen. Es ist der reine Jubel. Zum Glück war mein Mann gerade wieder abgehauen. Zum Glück hatte ich gerade einen sanften Arbeitsplatz. In der Kleiderburg. Zum Glück erlebe ich endlich, was das ist: Glück. Ich danke Ihnen. Wie noch nie. Ab sofort keine Zigarette mehr. Alkohol sowieso nicht.
Nur dass Sie’s wissen. Der Fortschritt: Ich schreibe nicht mehr an Sie und nicht mehr an Ihren Mann. Die Schwangerschaft bringt’s! Dass ich nicht schön bin, schrieb ich schon. Ich habe leider nicht immer einen Spiegel zur Hand, in den ich ständig blicken könnte, sonst wäre alles unterblieben. Wie kann man sich jemandem zumuten wollen mit so einem, ehrlich gesagt, da hilft kein Pipapo, Winterschlussverkaufsgesicht. Mein Fehler! Nicht oft genug in den Spiegel geschaut. Heute Morgen holte ich mir einen Spiegel und schaute rein. So was kann man keinem zumuten. Ich möchte mir so was auch nicht zumuten lassen, wenn ich ein Mann wäre. Mitleid hasse ich. Schön war es trotzdem all die Zeit, meine Hässlichkeit einfach nicht wahrzunehmen. Jetzt schau ich in den Spiegel. Frühmorgens, jeden Tag. Das heilt mich. Lachen Sie ruhig über mich. Nur dass ihr’s alle wisst. Ich möchte gefühlsgescheit sein. Oder wenigstens dafür gehalten werden. Nur dass ihr’s alle wisst.
Auserlesen. Gebenedeit. Ich, der Engel von Stuttgart-Ost. Vergessen Sie nicht, dass ich in der Marquardtstraße eine Nähstube betreibe. Zuerst nur Änderungsschneiderei. Heißt jetzt Freies Nähen. Jetzt kommen Frauen, die keine Maschine haben. Denen helf ich. Ohne Warteliste geht es schon lange nicht mehr. Und wenn
Weitere Kostenlose Bücher