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Muttertier @N Rabenmutter

Muttertier @N Rabenmutter

Titel: Muttertier @N Rabenmutter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nives Mestrovic , Sonja Liebsch
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fort. Dementsprechend saß der Therapeut auch nicht an seinem Schreibtisch, sondern daneben. Seinem Stuhl gegenüber standen zwei weitere Stühle, offensichtlich die Besucherstühle. Nachdem Dr. Masurka Platz genommen hatte, bedeutete er mir mit einer knappen Handbewegung, dies ebenfalls zu tun. Komischer Typ.
    »So, Frau Anders. Erzählen Sie mal, warum Sie hier sind.«
    »Ich weiß nicht recht, wie ich es erklären soll. Ich bin in letzter Zeit nicht mehr ich selbst. Ich fühle mich erschöpft und überfordert, gleichzeitig auch unfähig und unnütz«, fasste ich meinen Gemütszustand so gut es ging zusammen.
    »Hm«, machte der Therapeut, »und wie ist das morgens?« Häh? Ich hatte keine Ahnung, worauf die Frage abzielte. Darauf bedacht, nichts Falsches zu sagen, antwortete ich wahrheitsgemäß: »Morgens bin ich müde.«
    »Ist es so, dass Sie überhaupt nicht in die Gänge kommen?« Aha, dahin ging die Reise. Da ich eine Vorstellung davon bekam, welches Bild Herr Masurka von mir aufzubauen versuchte, steuerte ich gleich gegen: »Ich habe so viele Termine, dass ich überhaupt keine Zeit habe, nicht in die Gänge zu kommen.« Damit hätten wir das wohl geklärt.
    »Und was sagt Ihr Mann dazu?« Wieder so eine komische Frage.
    »Was soll er denn sagen?« Ich wusste wirklich nicht, was er hören wollte. Jetzt wurde der Arzt sichtlich ungeduldig.
    »Das müssen Sie doch wissen. Ist doch Ihr Mann!« Dieser Mann kommunizierte auf einer völlig anderen Frequenz als ich. Ich spürte, dass sich die Unterhaltung schwierig gestalten würde.
    »Es tut mir sehr leid, aber ich weiß gar nicht, worauf Sie hinaus wollen.«
    Leicht genervt griff er mir unter die Arme. »Sagt er: ›Du hast dich aber verändert‹ oder ›Mensch, du hast aber wirklich viel um die Ohren‹?«
    »Ja. Das sagt er. Ich habe ja auch viel um die Ohren.«
    »Haben Sie Geschwister?« Die Frage war leicht zu beantworten.
    »Ja.«
    »Und was sagen die?« Er ließ einfach nicht locker. Was wollte er denn nur hören? Mein Schweigen dauerte Herrn Masurka wohl zu lange. Deshalb setzte er nun schon deutlich genervt hinzu: »Sagen die auch ›Mensch, du hast aber viel um die Ohren‹?«
    »Also mit meinen Geschwistern rede ich darüber eigentlich nicht.« Was wird das hier, dachte ich. Wie komme ich hierher und wie komme ich hier wieder weg.
    »Und Ihre Mutter?«, unterbrach Dr. Masurka meine Fluchtgedanken.
    »Bitte?« Ich war nun mindestens ebenso ungeduldig wie der Arzt. Würde er jetzt noch nach Tanten, Großeltern und Schwiegereltern fragen?
    »War die auch antriebsschwach?« Wie bitte? Wie konnte mich dieser Mensch, der mich erst seit zwei Minuten kannte, in die Schublade ›Schlampige Hausfrau, die mittags noch im Bett liegt und ihre Kinder mit Chips und Cola vorm Fernseher parkt‹ stecken? Vor lauter Wut traten mir Tränen in die Augen, die ich gerade noch so zurückhalten konnte. Das war endlich ein eindeutiges Signal für den Therapeuten, mit dem er etwas anfangen konnte.
    »Ich sehe, Sie sind sehr nah am Wasser gebaut. Wäre die Frage, ob wir Ihnen mal etwas geben, damit Sie etwas fröhlicher werden, zumindest zeitweise?« Das war doch nun wirklich der Gipfel! Sah so eine Anamnese aus: Bring den Patienten zum Weinen, damit du ihm ein paar Muntermacher verschreiben kannst?
    »Nein«, antwortete ich bestimmt. Der kurze Anflug von Frohsinn verschwand sogleich aus seinem Gesicht. Ich wurde ihm wohl langsam zu anstrengend.
    »Ich schlage vor, Sie füllen mir jetzt am Empfang einen kleinen Fragebogen aus und dann sehen wir uns nächste Woche wieder.«
    Mir war alles recht, um aus dieser merkwürdigen Praxis zu entkommen. Er begleitete mich zum Empfang und sagte seiner Mitarbeiterin, sie möge mir den Fragebogen aushändigen. Sie reichte mir ein Klemmbrett. Erleichtert stellte ich fest, dass es sich nur um eine DIN-A4-Seite handelte. Das würde schnell gehen.
    »So, das ist der Antwortbogen und das hier ist das Heft mit den Fragen. Sie können den Bogen im Wartezimmer ausfüllen.« Mit diesen Worten überreichte sie mir auch das Fragenheft. Erst jetzt realisierte ich, dass auf dem Blatt lediglich Nummern sowie die Antwortalternativen ›richtig‹ und ›falsch‹ abgedruckt waren. Die dazugehörigen 567 Fragen befanden sich im Heft. Ich sollte offensichtlich einen Persönlichkeitstest machen. Kurz überlegte ich, ob ich die Praxis verlassen sollte, aber wie immer im Leben, wenn ich mir nicht sicher war, was tun, machte ich erst einmal nach Plan weiter. Ich

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