Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Mutti ist die Bestie: Die heimliche Diktatur vieler Mütter (German Edition)

Mutti ist die Bestie: Die heimliche Diktatur vieler Mütter (German Edition)

Titel: Mutti ist die Bestie: Die heimliche Diktatur vieler Mütter (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Torsten Milsch
Vom Netzwerk:
Mechanismen sind da am Werk?

5
    Vom Pausenbrot zum Hotel Mama
    »Hier bin ich, es gibt mich noch, [ … ] ich bin noch nicht verhungert oder erfroren. Es war ein Hin und Her auf der Landkarte. Von Frankfurt Richtung Ulm, da erst mal Halloween gefeiert. Da haben wir nur leider keine Schlafmöglichkeit gefunden und mussten uns halt im EC-Hotel einquartieren. Dann ging’s ins Frankenland, dann wieder südlich, Richtung Konstanz.«
    So schildert der junge Zimmermann André Heger auf seiner Homepage seine ersten Tage auf Wanderschaft im Herbst 2005 und vergisst nicht zu erwähnen: »Also Mutti, aufatmen.«
    Höchstens 30 Jahre alt, nicht vorbestraft, unverheiratet, schuldenfrei und den Gesellenbrief in der Tasche: Das sind die Voraussetzungen, die André erfüllen muss, um als junger Zimmermannsgeselle auf die Walz gehen zu dürfen. Was früher für die jungen Handwerksburschen vorgeschrieben war, damit sie Meister werden durften, unternimmt André zusammen mit seinem Kumpel Markus freiwillig. Er will die Welt kennenlernen und schauen, wie er allein zurechtkommt. Denn auf die Walz gehen heißt, alle vertrauten Bindungen auf Eis zu legen und für drei Jahre und einen Tag seiner Heimat nicht näher als 50 Kilometer zu kommen.
    Die letzten Tage vor der Abreise kommt eine bange Wehmut auf, die mit viel Alkohol bekämpft wird. Aber danach heißt es dann tapfer sein. Anfangs noch verkatert, ziehen André und Markus los, quer durch Deutschland, Italien, Frankreich. Sie übernachten bei alten und neuen Bekannten, im Kolpinghaus oder eben auch mal im »EC-Hotel«. Das Foto auf der Homepage verrät, was damit gemeint ist: André und Markus breiten ihre Schlafsäcke im Vorraum einer Bank aus, unterhalb des Geldautomaten.
    Die beiden ziehen, wohin sie gerade Lust haben, zu Fuß, per Anhalter oder mit dem Zug. Sie jobben in einem Restaurant im Allgäu, als Olivenpflücker in der Toscana oder als Zimmerleute in der Schweiz. Dabei erfährt André, dass im Thurgau Zimmerleute sowohl mit der anderswo bereits ausgestorbenen Technik des Handabbunds als auch mit Helikoptern arbeiten, die die Bauteile in Position bringen. Er verbessert seine Fremdsprachenkenntnisse: Italienisch, Französisch, Bayerisch. Stolz präsentiert er seine Zimmermannskluft am Strand von Nizza.
    Er lernt jede Menge Leute kennen, die auf seiner Homepage verewigt sind und mit denen er zusammenarbeitet, herumzieht, campt, snowboarded, feiert und Fallschirm springt. Und er wird mit allen möglichen Problemen fertig, von dem Reisebus, der in Bozen pünktlich am Busbahnhof abfährt, während André 400 Meter weiter am Hauptbahnhof auf ihn wartet, bis zur Frage, was man macht, wenn man bei Minusgraden auf einem Autohof festhängt. Kurz: André zieht sein Ding durch, auch bei Widrigkeiten.
    Der Stoß aus dem Nest
    Die Walz durch Deutschland, Europa und die ganze Welt ist der bewusste und endgültige Schritt eines jungen Handwerkers in die Selbstständigkeit und ins Erwachsenenleben, weg von den Eltern und dem Lehrherrn.
    Viele Kulturen kannten und kennen bis heute solche Initiationsriten. Sie bestehen in der Regel aus einer Phase der Schulung, die mit einer wie auch immer gearteten Abschlussprüfung beendet wird: einer Mutprobe oder dem Beweis, dass der junge Mensch zumindest eine Zeit lang in der Lage ist, auf sich allein gestellt zu leben. Als anthropologische Konstante sind diese Riten ein offenbar notwendiger Schritt oder besser gesagt: Schnitt, um das Ende der Abhängigkeit von den Eltern zu besiegeln.
    So legten die Römer der Antike jedes Jahr am 17. März, dem Bacchusfest, den 15- bis 17-jährigen Knaben die Erwachsenentoga an. Die Exzesse der an diesem Tag begangenen Bacchanalien – Alkohol war nur eines der bewusstseinsverändernden und enthemmenden Mittel, die in reichlichen Mengen konsumiert wurden – sind bis heute legendär. Für einen Knaben sicher eine sehr eindrückliche Art, öffentlich zum Erwachsenen erklärt zu werden. Von dieser eher spaßbezogenen Variante reichte die Bandbreite bis hin zu Survivaltrainings auf einer einsamen Insel oder in einer lebensfeindlichen Wüste, wo die Jugendlichen mit einer genau festgelegten und oft selbst gemachten Basisausstattung ausgesetzt wurden.
    Als Initiationsritus kann auch die Übergabe der Aussteuer an die Tochter verstanden werden. Von diesem Zeitpunkt an besitzt sie alles, was sie für einen eigenständigen Haushalt braucht, und hängt nicht mehr am Tropf der Eltern. Deutlich wird auch hier die räumliche

Weitere Kostenlose Bücher