Mutti ist die Bestie: Die heimliche Diktatur vieler Mütter (German Edition)
Trennung: Die Tochter zieht aus der elterlichen Wohnung aus. Endgültig.
Wanderburschen sind heutzutage eine seltene Ausnahme, die mit ihrer aus dem 19. Jahrhundert stammenden Kluft zwischen lauter Jeansträgern etwas Archaisches ins Straßenbild bringen. Aussteuertruhen werden im Volkskundemuseum bestaunt, die schön geschmückten Initiationshäuser der Südseeinsulaner im ethnologischen Museum.
Und was haben wir? Gibt es in unserer westlichen Gesellschaft heute noch Initiationsriten?
Nur Reste davon. Einzig in der Religion wurden gewisse Zeremonien bewahrt. Bei Konfirmation, Firmung oder Bar-Mizwa werden Jugendliche offiziell als vollwertige, erwachsene Mitglieder in die religiöse Gemeinde aufgenommen. Aber diese Mündigkeit betrifft nur einen kleinen Lebensbereich und nur eine Minderheit, die überhaupt noch einen Bezug zum Religiösen hat.
Konfirmation und Firmung sind längst zu einer Geschenkeschlacht verkommen, die von Müttern, Tanten und Omas wie von Feldherren geplant und ausgeführt wird. Und wehe, das Kind will den dunkelblauen Cordanzug nicht anziehen! Von einem Tag der Abnabelung kann hier gewiss nicht die Rede sein. Ein 14- oder 15-jähriger Jugendlicher denkt bei diesem Anlass auch weniger daran, sich nun als vollwertiges Mitglied der Gemeinde zu zeigen. Er überlegt eher, ob das eingesammelte Geld neben der Anzahlung für das Mofa auch für ein neues Smartphone reicht.
Andere Riten sind lokal eng begrenzt oder betreffen nur einzelne junge Menschen, die im Begriff stehen, die Flügel auszubreiten. Manche Städte und Gemeinden inszenieren offizielle Erstwählerfeiern, um 18-Jährige als politisch mündige Vollbürger zu begrüßen – auch das ist wohl eher eine Randerscheinung ohne größeren Nennwert.
Die Schulabschlussfeier wird zwar groß inszeniert, hat aber oft keinen wirklichen Einschnitt im Leben zur Folge. Die schulische Lernphase ist zu Ende, jetzt geht es zur Berufsausbildung hinaus ins Leben. Der Auszug aus dem Elternhaus wäre dann ein deutliches Zeichen für das Ende der Kindheit. Doch die meisten jungen Erwachsenen bleiben auch nach der Schule noch bei den Eltern wohnen.
Wenn der Auszug aus dem Elternhaus dann doch irgendwann einmal erfolgt, ist er längst nicht mehr die Sollbruchstelle, die den jungen Erwachsenen nachhaltig aus seiner bisherigen Abhängigkeit und aus der mütterlichen Umklammerung befreit. Solange es geht, wäscht Mutti die Wäsche. Für sie ist das eine großartige Möglichkeit, die Bindung zu ihrem Kind nicht allzu locker werden zu lassen und Sohn oder Tochter zumindest einmal die Woche im Elternhaus mit Kaffee und Kuchen zu traktieren – bis die Hemden geschleudert und getrocknet sind.
Ein weiterer Magnet, der die Kinder noch in Muttis Dunstkreis hält, selbst wenn aus den Lehrlingen, Gesellen, Studenten und Trainees längst Erwachsene im Vollerwerb geworden sind, ist das Kinder- oder Jugendzimmer, das im elterlichen Haus ohne Verfallsdatum in Ehren gehalten wird. In diese schützende Hülle können sie jederzeit wieder zurückschlüpfen, sei es über Ostern, Pfingsten, Weihnachten oder für den Geburtstag von Tante Elli – oder auch nach der Scheidung. Mutti wartet schon.
Heute gibt es in der westlichen Zivilisation keinen klar definierten Schlusspunkt der Kindheit mehr. Noch nicht einmal die räumliche Trennung will Mutti und Kind so recht gelingen. Wie kommt es, dass so viele Jugendliche den Absprung von zu Hause verpassen – und die Eltern das Loslassen?
Die Verlängerung der Kindheit
Das verwöhnte Kind bleibt bei den Eltern, weil es nie lernen durfte, auf eigenen Füßen zu stehen. Jeder Handgriff zu Hause, jede schwierige Entscheidung, jede Eigenverantwortung wurde ihm abgenommen. Vor Konflikten und Schwierigkeiten hat es gelernt die Augen zu verschließen – entweder sie gehen von allein weg, oder Mutti kümmert sich darum. Dem den Jahren nach erwachsenen Kind fällt daher die Wahl zwischen der ihm grausam erscheinenden Welt da draußen und der kuscheligen Atmosphäre zu Hause nicht schwer. Unterschlupf statt Überforderung.
Mancher Spross geht sogar so weit, lebenslänglich Kind bleiben zu wollen, und weigert sich, je das Hotel Mama zu verlassen. In einigen Fällen ist das sogar wörtlich gemeint: Der Sohn oder die Tochter trauen sich nicht mehr aus dem Haus der Eltern heraus und brechen alle persönlichen Kontakte ab. Was im Westen in dieser extremen Ausprägung noch recht selten vorkommt, hat sich in Japan längst zu einem breiten
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