Mutti ist die Bestie: Die heimliche Diktatur vieler Mütter (German Edition)
Fensterrahmen, den sehe ich jetzt erst. So ein Mist, den muss ich jetzt erst kitten und den Kitt trocknen lassen, bevor ich hier weitermachen kann! Verdammt!«
»Sag mal, Thea«, fragt Angelika, »macht dir das alles eigentlich Spaß?«
Thea ist verblüfft. »Was? Nein, nicht besonders. Eigentlich überhaupt nicht. Es ist stressig und nervt. Inzwischen hängt mir das Haus gründlich zum Hals raus. Aber wir haben es nun mal gekauft, und jetzt muss es renoviert werden. Wieso fragst du?«
»Seit ich dich kenne, höre ich dich nur schimpfen über die viele Arbeit. Um ehrlich zu sein: Du hast schon dunkle Ringe unter den Augen. Aber du lässt auch niemand anderen dran. Wäre es nicht für dich besser gewesen, wenn ihr euch gleich ein neues Haus gekauft hättet?«
»Matthias hat sich aber doch in dieses alte Haus verliebt. Und außerdem könnten wir für das gleiche Geld bei einem Neubau nur eine Vierzimmerwohnung bekommen. Da fehlte ja der Platz für die Kinder, wenn sie in den Semesterferien heimkommen.«
»Ich verstehe nicht, warum du dir den ganzen Stress antust. Nur um Zimmer für deine erwachsenen Kinder bereitzuhalten? Die haben doch inzwischen ihr eigenes Leben.«
»Sie studieren, ja, aber sie sollen immer ein Zuhause bei uns haben. So hat es meine Mutter auch gemacht. Sie hat die Zimmer von mir und meinen Schwestern frei gehalten und immer frische Blumen reingestellt, wenn wir gekommen sind. Das war toll, da sind wir gerne heimgekommen. Das sollen Maritta und Jörn auch haben.«
»Frei halten meinetwegen, obwohl ich das auch übertrieben finde. Aber jetzt extra Zimmer für sie neu einzurichten, mit dieser ganzen Arbeit? Du solltest mal darüber nachdenken, was dir guttut!«
Es gibt Frauen, die wirken extrem selbstbewusst und tüchtig. Sie sind pausenlos auf Achse, können alles, machen alles selber. Sie bestimmen, wo es langgeht, bis alles perfekt ist, so wie sie es sich wünschen. Sie erscheinen absolut autark. So richtig starke Frauen! Die Kehrseite der Medaille ist: Sie tun das alles, ohne dass es ihnen Spaß macht. Sie wollen damit auch keine eigenen Ziele erreichen. Sie tun es, weil sie glauben, dass es von ihnen erwartet wird. Auch wenn sie überzeugt davon sind, anderen damit einen Gefallen zu tun, ist der eigentliche Grund für ihr Handeln der unermüdliche Versuch, die ihnen nahestehenden Menschen an sich zu binden.
Eigentlich können diese Frauen einem leidtun. Sie schuften und überfordern sich ständig, um alles perfekt zu machen, und bewirken damit oft genau das Gegenteil von dem, was sie eigentlich wollen. Da Muttis alles selber machen und kontrollieren müssen, signalisieren sie ihren Mitmenschen immer wieder: »Nur ich kann das. Und du kannst es nicht.« Mit jedem solchen Satz beißen sie ihre Mitmenschen ein Stück weiter von sich weg. Außerdem erzeugen sie bei ihnen ein schlechtes Gewissen, weil sie alles für sie tun und die anderen kaum eine Möglichkeit haben, sich zu revanchieren. Ein schlechtes Gewissen aber ist der Tod jeder echten Beziehung. Man fühlt sich dem anderen verpflichtet, anstatt gern mit ihm zusammen zu sein. »Mist, wir waren jetzt schon drei Wochen nicht mehr bei Mama. Wird Zeit, dass wir uns dort mal wieder blicken lassen.« Die Beziehung wird also zunehmend formal und oberflächlich.
Muttis leiden unter der Einsamkeit, die sie sich selbst erschaffen. Und um gegen diese Einsamkeit anzugehen, greifen sie zu Mitteln, die sie am Ende noch einsamer machen. Sich am Telefon darüber beklagen, dass der Sohn sich so lange nicht mehr gemeldet hat? Das wird nicht zur Folge haben, dass er nun gern häufiger anruft. Der Tochter stolz das frisch renovierte Zimmer in Apricot zeigen? Wenn es nicht die Farbe ist, die der Tochter den Magen umdreht, dann wird es das Wissen sein, dass Mama hart für dieses Zimmer gearbeitet hat – und eine Gegenleistung erwartet.
In Wahrheit sind diese scheinbar starken Mütter unsicher. Sie ertragen es nur äußerst schwer, dass Kinder oder Partner sich ein paar Schritte von ihnen entfernen, weil ihnen das Vertrauen fehlt, dass sie von sich aus wiederkommen. Sie brauchen die Beziehung zu ihren Kindern und Partnern, um ihrem Leben einen Sinn zu geben. Es fehlt ihnen aber das Zutrauen darein, dass diese Beziehung ohne das Bestechungsmittel der ständigen Fürsorge tragfähig ist.
Das Mutti-System ist von einem besonders kreativen Teufel erdacht worden. Warum nur bricht niemand aus – weder die Muttis selbst noch ihre Partner oder Kinder? Welche
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