Mutti ist die Bestie: Die heimliche Diktatur vieler Mütter (German Edition)
Gutenachtgeschichte. Wenn sich die Kinder allmählich von ihr lösen, wenn sie schließlich ganz ausziehen, wird Muttis Leben leer.
Zwar ist da noch der Partner, aber der arbeitet viel; er hat Karriere gemacht und kommt jetzt aus der Tretmühle nur schwer wieder heraus. Ihn sieht sie nur abends und am Wochenende. Und außerdem hat sich die Beziehung zu ihm deutlich abgekühlt, seit die Kinder da sind. Die Gesprächsthemen mit ihm haben sich darauf eingeengt, dass er ihr von seinem Job erzählt und sie davon, was die Kinder tagsüber so gemacht haben. Wenn es gut läuft. Wenn es schlecht läuft, dreht sich die Diskussion im Wesentlichen ums Essen und darum, welches Fernsehprogramm gemeinsam angeschaut wird. Bei allen gemeinsamen Aktionen sind die Kinder dabei – wenn nicht physisch, so doch im Bewusstsein. Da kommt Zweisamkeit kaum noch auf.
Die Freundschaft mit Nicht-Muttis ist leise eingeschlafen. Mit ihren verbliebenen Freundinnen sind die Kinder das gemeinsame Gesprächsthema. Die Sorgen und Erfolgsstorys um die Kinder herum sind der emotionale Klebstoff, der die Freundschaft zusammenhält. Natürlich kann man auch weiterhin über die Kinder plaudern, wenn die aus dem Haus sind, wenn sie studieren oder eine Ausbildung machen, wenn sie ihrerseits Partner finden. Aber was kann man den Freundinnen bloß erzählen, wenn sich die erwachsenen Kinder nur einmal im Monat melden?
Die Kinder sind der Lebenssinn der Mutti. Das Zentrum, um das sich alles dreht. Denn ihr Privatleben ist voll und ganz auf die Kinder ausgerichtet und auf Beziehungen, die rund um die Kinder kreisen. Ein nennenswertes Berufsleben fehlt der Mutti schon längst. Für die Kinder hat sie ihren Beruf aufgegeben oder so weit heruntergefahren, dass er jetzt eigentlich nur noch ein Hobby ist. Die Kinderpause war so lang, dass sie inzwischen von den Entwicklungen in ihrem Fachgebiet abgehängt ist und nur noch schwer wieder voll einsteigen kann. Karriere zu machen kann sie vergessen; jedenfalls würde es sehr viel Energie kosten.
Und was sonst? Sie hat zwar noch ein oder zwei Hobbys: Chor, Acrylbilder malen, Facebook-Freundschaften pflegen. Vielleicht engagiert sie sich ehrenamtlich in der Kirchengemeinde oder in einem Verein. Aber um ganz ehrlich zu sein: Das vertreibt zwar die Zeit und macht Spaß, aber ein richtiger Lebensinhalt ist es nicht. So empfinden es die Muttis. Das Mutti-Sein hat sich also im Lauf der Zeit zum zentralen, zum einzigen Lebensinhalt entwickelt.
Lebenslang gebunden
»Puh, ganz schön anstrengend!« Thea krempelt den heruntergerutschten Ärmel ihres karierten Hemds wieder hoch und wischt sich mit ihm über die schweißnasse Stirn. Dann greift sie wieder zur Schleifmaschine und fährt fort, den Fensterrahmen zu bearbeiten. Der Staub steigt ihr in die Nase, sie muss niesen.
»Gesundheit!«, sagt eine Stimme hinter ihr. Die Nachbarin, Angelika. »Hallo Thea, du bist ja schon wieder so tüchtig. Na, kommst du voran mit der großen Renovierung?«
»Oh, ja. Noch zwei Fenster abschleifen, dann kann ich mich ans Streichen machen.«
Vor einem Jahr haben Thea und ihr Mann Matthias das alte Haus gekauft. Seither ist Thea ständig am Renovieren – Böden herausreißen und neu verlegen, Fenster abdichten, schleifen, streichen. Angelika sieht Thea immer nur mit einem Pinsel, Schraubendreher oder anderem Werkzeug in der Hand. Matthias sieht sie seltener. Er ist viel beruflich unterwegs und außerdem, wie Thea oft betont, handwerklich völlig unbegabt.
»Dieser Honigton, den du für die Fenster ausgesucht hast, ist richtig schön«, lobt Angelika. »Ich finde es unglaublich, was du aus diesem heruntergekommenen Ding machst. Das wird ein richtiges Paradies!«
Thea lächelt. »Ja, das hoffe ich auch. Aber es ist noch so viel zu tun! Am Wochenende streiche ich das Zimmer für Maritta. Weißt du vielleicht, wo man hier in der Gegend Ökowandfarbe in Apricot bekommt? Das war immer ihre Lieblingsfarbe, schon als kleines Mädchen.«
»Versuch’s doch mal beim Baumarkt, die haben auch ein Ökosortiment. Aber lass doch Maritta ihr Zimmer selber streichen!«
»Die lernt doch gerade wie wild für ihre Semesterprüfungen, da fehlt ihr die Zeit für so was.«
Die Schleifmaschine heult erneut auf, Thea führt sie sorgfältig über das Holz des Fensterrahmens. Auf einmal lässt sie das Gerät sinken. Mit der Hand wischt sie über das frisch geschliffene Stück und flucht dann lauthals.
»Was ist denn los?«
»Da ist ein feiner Riss im
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