Mutti packt aus
den Flur in meine Küche und schlägt direkt in meinem Herzen ein. Während ich zu Boden gehe, fallen mir all die vielstimmigen Klagelieder befreundeter Mütter anderer 16-jähriger Jungen ein, bei denen es längst passiert ist, dass plötzlich ein Mädchen im Zimmer ist. Und dann, sagen sie, geht der Stress erst richtig los. Dass Kinder größten Widerwillen empfinden, wenn sie sich ihre Eltern als sexuelle Wesen vorstellen, gebongt. Kann man verstehen und hält sich eben zurück. Aber viel schlimmer ist doch der umgekehrte Fall: Tausende von Eltern in diesem Land leiden unter den sexuellen Wesen, als die sich ihre süßen Babys nach ein paar Jahren entpuppen!
Man versteckt sich im hintersten Winkel der Wohnung, schaltet Radio und Fernseher ein und setzt Kopfhörer auf, bügelt beklommen und versucht, sich nicht vorzustellen, was die eigentlich machen. Bloß nichts sehen, hören und denken müssen – der reinste Alptraum, raunen die Mütter einander im Rückenwind der dritten Weißweinschorle zu, der Moment, in dem man seinen Sohn an ein Mädchen verliert, das viel zu kurze Röcke trägt, geschminkt ist wie ein Waschbär, vermutlich noch nicht einmal kochen kann und einem praktisch jederzeit in entnervend winzigen Slips zu Hause über den Weg läuft. Über all diese Seelenpein darf man kein einziges Wort verlieren, sagen meine Freundinnen, denn dann würde man ja das Kind in seiner persönlichen Entfaltung behindern, seine Lebensfreude torpedieren, seine gesunde sexuelle Entwicklung verkrüppeln und sich selbst als die grausame, verklemmte, herzlose alte Vettel offenbaren, die man all die Jahre sorgsam unter der Maske mitfühlender Madonnenhaftigkeit und lächelnden Sachverstandes in allen Lebenslagen verborgen hat.
Will ich das? Nein, will ich nicht.
Aber wenn ich mir vorstelle, dass das jetzt jahrelang so weitergeht und ich demnächst zwischen vier verschlossenen Zimmertüren, hinter denen jeweils zweistimmig gejubelt wird, wie Strandgut herumsitze, gerührt Babyfotos von einst betrachte, vielleicht traurig die Spüle auf Hochglanz bringe, die Bestände im Vorratsschrank überprüfe und lange Einkaufslisten schreibe oder hilflos sogar Socken bügeln werde, während im Fernsehen Rosamunde Pilcher läuft … Nein, das will ich auch nicht. Denn im Grunde bin ich tolerant, liberal und äußerst pfiffig im Finden minimal-invasiver Methoden meiner erzieherischen Eingriffe in das junge Leben um mich herum. Als er zum ersten Mal betrunken nach Hause kam, habe ich mir jeden altbackenen Vorwurf verkniffen, keine strafbewehrten Verbote formuliert und augenblicklich auf Call-Center-Freundlichkeit umgeschaltet. »Herzlich willkommen zu Hause! Mein Na me ist Mama. Was darf ich für Sie tun?« Als ich ihn und seinen Kumpel hinterm Haus beim Rauchen erwischte, habe ich kurz gezuckt, bevor ich die jungen Herren nonchalant ins Wohnzimmer bat. »Hey, setzt euch doch, hier ist ein großer Aschenbecher, müsst doch nicht hinterm Haus rumstehen. Vielleicht ein Gläschen dazu? Bitteschön, hier ist eine ganze Schachtel Zigaretten, die rauchen wir jetzt gemeinsam, denn Rauchen ist eine tolle Sache.« Gesagt, getan. Nach der zweiten Zigarette war den beiden Jungs so kotzübel, dass sie das Zeug nie wieder angefasst haben – und so haben sie das Rauchen schon mit 12 drangegeben.
Nach etlichen Kilometern zwischen Kühlschrank und Küchentisch fasse ich einen heroischen Entschluss. Beim Mittagessen am nächsten Tag druckse ich einleitend ein bisschen herum und komme nach wenigen verständnisvollen Bemerkungen beinhart zur Sache. »Wenn jemand in dieser Wohnung Sex hat, dann ich! Klar so weit?« Mein Ältester grinst breit, hakt die Daumen in die Hosentaschen und wippt sich mit dem Stuhl ins überlegene Gleichgewicht. »Du? Iiiieeehh!« Seine Schwester fragt schnippisch: »Ach echt? Du willst doch nicht etwa, dass ich’s unter der Brücke mache?« Ich mustere sie mit zusammengekniffenen Augen. Was, die auch schon? Doch die Antwort bleibe ich schuldig, denn mein Großer brummt versöhnlich. »Chill mal, Mama.« Er klingt ein bisschen gönnerhaft. »Ist gebongt, kommt nicht wieder vor, wenn du zu Hause bist.« Seine Augen blitzen unternehmungslustig. »Und was ist mit Kiffen?«
Schlusspfiff
»Äh, also, Mama«, stottert mein Großer, »also ich mach ja dieses Jahr Abi.« Er kniet auf der Straße, und ich reiche ihm die Streichhölzer, damit er die Monsterrakete anzünden kann, die ich ausnahmsweise genehmigt habe, weil dieses Jahr ein
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