Mutti packt aus
bohrt ihre Augen in meine und erklärt mir triumphierend: »Probleme, pah! Das ist doch wie mit deinem Busen. Wenn du dich jünger fühlst, als dein Körper ist, dann mach’s einfach, das mit dem Liften. Und ich dürfte auch wieder fünf sein. Dann wäre mir wieder egal, wie ich aussehe. Und die Jungs würden mich nicht stressen, sondern wir würden einfach zusammen spielen. Wir könnten wieder ins Puppentheater gehen, und ich könnte wieder auf deinem Schoß sitzen. Ich würde mich sogar wieder auf die Schule freuen!« Sie holt tief Luft und wirft mir einen gequälten Blick zu. »Echt Mama, heute fühle ich mich innen viel zu jung für die Schule!« Da rollt doch tatsächlich eine Träne aus ihrem linken Auge. Sie schnieft. »Mathe?«, frage ich behutsam und gurre sehr liebevoll, während ich ein Taschentuch in die Hand nehme. Sie nickt. Ich wische ihr das Make-up aus dem Gesicht, den Lippenstift vom Mund und ziehe ihr die hohen Schuhe aus. Dann halte ich ihren Kopf fest, befehle: schnauben! Und putze ihr sehr gründlich die Nase. Sie reißt sich los. »Igitt, das ist ja eklig«, schreit sie. »Ey, was soll’n das? Ich bin doch kein Baby mehr!«
Ball-out?
»Übermorgen ist Abschluss-Ball«, sagt meine Große drohend, »und dazu brauche ich ein Kleid.« Ich zucke nur leicht zusammen, denn, ehrlich gesagt, ich hab’s ja kommen sehen. Den Klamottenläden am Kudamm geht’s, wenn die Tanzschulen im Frühjahr Abschluss-Bälle veranstalten, so gut wie den Kioskbesitzern neben der Grundschule das ganze Jahr. Schlau haben sie pünktlich und schwer aufgerüstet, um die Blütenträume kreischender junger tanzlauniger Mädchen in Tüllwolken, Glitzerglanz und Schleifen zu verpacken. »Cool!«, ruft die Kleine. »Ich brauche auch ein Kleid. Ich gehe nämlich mit!« Sie schließt schwelgend die Augen, breitet die Arme aus und dreht sich verzückt um die eigene Achse. »Ach, Jane, wie ich diese Bälle liebe!« Verblüfft über diese Eröffnung, die von keinerlei Sachkenntnis getrübt sein kann, schau ich sie an. Und wer ist eigentlich Jane? Nicht mal die Große protestiert. »Ey Mama«, sagt sie, »Fernsehen. Film. Kino! Schon mal probiert? Das ist aus Stolz und Vorurteil!« Die Kleine jauchzt. »Oh geliebte Jane, ich werde tanzen! Und der süße Mister Darcy wird meiner!«
In mein Kopfschütteln hinein skandiert die Große, die eine einmal vorgetragene Forderung niemals vergisst: »Mama, was is’n jetzt? Ich brauche ein Kleid!!!« Und da mein Kopf weiterhin wegschüttelt, was er da hört: »Ja, ich weiß, dass du kein Geld hast. Oma hat mir hundert Euro geschickt. Für ein Kleid!« Bevor ich noch einen soliden Einwand gegen diesen hinterhältigen, infamen, meine Sparbeschlüsse und meine Autorität von zwei Seiten aus untergrabenden Mehrgenerationenpakt formulieren kann, stehen beide schon an der Tür, und der Sog der glamourösen Roben, die am Kudamm auf uns warten, zieht mich mit ihnen hinaus. Ich folge ihnen ein bisschen schuldbewusst, denn dass da am Ende des Tanzkurses ein Ball ansteht, hätte ich mir eigentlich denken können. Habe ich blöderweise aber nicht, und deshalb haben sie mich jetzt in ihre Mitte genommen, fürsorglich an den Ellbogen untergefasst und aufmunternd wie routinierte Krankenschwestern gezwinkert. Das wird schon! Benommen, schwankend und voll dunkler Befürchtungen, besiegt, verloren sowieso und hinterrücks meines stärksten Arguments beraubt, lasse ich mich abführen. Danke auch, Mama!
So schnell komme ich gar nicht hinterher, wie die beiden mit b unten, duftigen, glitzernden Stoffwolken in der Umkleidekabine verschwunden sind. Ich sehe Füße, die aus löchrige n Turnschuhen schlüpfen, sehe mäßig saubere, geringelte So cken mit Löchern, höre es rascheln, fluchen, hingerissen seufzen, und dann reißt meine Kleine die Tür auf. Sie grüßt huldvoll nach allen Seiten, schreitet auf Zehenspitzen zum Spiegel. Pretty in Pink: Um sie herum wallt kilometerlanger Tüll, an mutig in der Taille gefasst und mit drei Pfund Glitzerglas steinchen gehalten. »Wow, bin ich schön!«, sagt sie zu ihrem Spiegelbild und wirft sich sehr verliebte Blicke zu. Wehmütig denke ich, dass sie gestern mit den Glassteinchen noch Mur melbahn gespielt hat. Mein Realitätsräuspern prallt ab an ihrem seidigen Glanz. »Sehr schön«, räume ich ein. Aber du hast erst in zwei Jahren Abschluss-Ball! Du kannst nicht mit!« Sie wispert ergriffen: »Ich guck ja auch nur!« Noch bevor ich mich wundern kann, schwebt die
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