My Lady 0145 - Sheila Bishop - Der geraubte Kuss
Person am Strand war. „Das ist Miss Osgood!“ sagte sie erschrocken.
„Wo ist sie?“ fragte Tom und drehte sich hastig um. „Du lieber Himmel!“ murmelte er erschrocken, als er sie sah, und rannte sofort über die Wiese aufs Meer zu.
Olivia strebte ihm so schnell wie möglich nach.
Er sprang die Böschung hinunter, wies auf Miss Osgood und schrie dem Fischer zu: „Halten Sie die Frau auf!“
Der Mann drehte sich zu ihm um, blickte in die angegebene Richtung und lief Miss Osgood hinterher.
Sie stand am Rande der anbrandenden Wogen und blickte auf die weite Fläche des Meeres.
Olivia erreichte den Abhang, raffte die Röcke und sprang hinunter. Als sie sich aufrichtete, sah sie Miss Osgood bis zu den Waden im Wasser stehen und die beiden Männer auf sie zuhasten. Unbeirrt bewegte Madeleine sich weiter in die Wellen, und bald reichten sie ihr bis zur Hüfte. Plötzlich rollte ein hoher Brecher heran, und im nächsten Moment war sie verschwunden. Sekunden später war auf der brodelnden Oberfläche der See nur der Schal zu erkennen.
Wie gelähmt beobachtete Olivia das Geschehen. Mr. Brooke und der Fischer hatten die Stelle erreicht, wo Miss Osgood ins Wasser gegangen war. Sie schwammen dorthin, wo sie zuletzt zu sehen gewesen war, und nur Minuten verstrichen, bis Mr. Brooke sie gefunden hatte. Mit Unterstützung des Fischers brachte er sie an Land.
Olivia löste sich aus der Starre, lief zu ihnen und fragte entsetzt, während sie Miss Osgood auf den Sand legten: „Ist sie tot?“
„Hoffentlich nicht!“ antwortete Tom, hockte sich über die Bewußtlose und begann, das Wasser aus ihren Lungen zu pressen.
Olivia erschien es wie ein Wunder, als Madeleine Osgood nach einer Weile die Lider aufschlug. Sogleich half sie, ihr mit Mr. Brooke und dem Fischer die Hände und Füße zu massieren, um die Blutzirkulation anzuregen. Minuten später würgte Miss Osgood, wurde rasch aufgerichtet und erbrach das verschluckte Wasser.
Olivia zog die Pelisse aus, hüllte Madeleine in den wärmenden Mantel und bedankte sich bei dem Fischer für die Unterstützung.
Tom schüttelte ihm herzlich die Hand, nahm die vollkommen erschöpfte Miss Osgood auf die Arme und brachte sie, begleitet von Miss Fenimore, in das nicht weit entfernte Haus ihres Onkels.
Olivia ersuchte ihn, Miss Osgood in ihr Zimmer zu tragen, und sorgte dafür, daß unverzüglich Feuer im Kamin gemacht wurde.
Tom legte Miss Osgood auf das Bett und verließ den Raum.
Olivia und Flora entkleideten sie, wickelten sie in Decken und nötigten sie sanft, sich auf einen Stuhl zu setzen und die Füße in ein heißes Senfbad zu stellen, das Hannah ihr gerichtet hatte.
„Ich habe mich so dumm benommen“, flüsterte Madeleine, „und Sie sind so gut zu mir!“ Zum ersten Male seit dem Geständnis vom vergangenen Abend brach sie in Tränen aus.
Olivia war ungemein erleichtert. Madeleine Osgood schien die seelische Krise überwunden zu haben. Tröstend strich sie ihr über das Haar, überließ sie Floras Obhut und ging nach unten, um Mr. Brooke zu sagen, daß Miss Osgood sich zu erholen begann.
Er hatte das Haus jedoch bereits verlassen.
Olivia entschied sich, bei Miss Osgood im Salon zu bleiben, obwohl Sonntag war und Flora mit dem Vater zur Kirche ging.
„Ich war so töricht!“ sagte Madeleine beklommen. „Ich war restlos in Mr. Forester vernarrt. Das soll keine Entschuldigung für mein falsches Verhalten sein, sondern nur eine Erklärung, warum ich meinen Gefühlen nachgegeben habe. Aber wie hätte ich wissen sollen, welchen Fehler ich begehe?“
„Ja, wie?“ murmelte Olivia. Sie begriff sehr gut, wie Miss Osgood zumute war.
„Hinterher ist man immer klüger.“
Ermutigt durch die Bemerkung, entschloß sich Madeleine, Miss Fenimore von der Beziehung zu Mr. Forester zu erzählen. „Ich war überglücklich“, gestand sie zum Schluß, „als er mir bekannte, daß er auch mich von Herzen liebe. Er wollte mich heiraten, meinte jedoch, daß wir die Bekanntgabe der Verlobung hinausschieben müßten, bis er mündig sei. Ich hatte Verständnis und war bereit, auf ihn zu warten. Da er in Oxford und London große Schulden gemacht hatte und die Universität verlassen mußte, wollte er zum Militär und gab mir zu bedenken, er könne im Krieg ums Leben kommen. Deshalb wollte er, daß ich mich ihm schon jetzt hingab. Doch das ging mir zu weit. Bis dahin hatte ich vollstes Vertrauen zu ihm und war willens, ihm seine Wünsche nach kleinen Zärtlichkeiten zu
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