My Story. Streng geheim. - Aller guten Jungs sind drei
hatte echt Angst um dich«, sagte Ignaz, als wir später zu unserem Hochsitz gingen. »Ich hab ja nicht mitgekriegt, dass du plötzlich auf und davon gerannt bist. Erst als die anderen sagten, Nele hätte dich beleidigt, machte ich mir Sorgen.«
»Nele hat mich nicht beleidigt«, stellte ich richtig. »Sie hat
meine Mutter erwähnt, sie hat sich entschuldigt und damit ist die Sache erledigt.«
»Warum musste sie sich entschuldigen, wenn sie dich nicht beleidigt hat? Kapier ich nicht.«
»Und ich kapier nicht, weshalb ihr euch alle immer in meine Angelegenheiten mischen müsst.«
»Alle?«, wiederholte Ignaz.
»Na ja, die meisten von euch.« Ich hatte keine Lust auf eine Diskussion über Liebes-, Freundschafts- und sonstige Küsse, über Emirs und meine Vergangenheit und über, ganz klar, Ignaz’ Eifersucht. Der Junge war eifersüchtig, daran bestand kein Zweifel. Wäre ich an seiner Stelle auch, gestand ich mir ein und betrachtete schuldbewusst das niedergetretene Gras vorm Hochsitz. Zum Glück war Ignaz kein Fährtenleser; er sah den Unterschied zwischen hohen und geknickten Grashalmen nicht, machte sich also auch keine Sorgen, sondern kletterte fröhlich die Leiter hoch. Als ich neben ihm saß, legte er den Arm um mich, zog mich an sich - und sofort begann mein Herz zu flattern. Es schlug nicht heftig wie bei Emir, das Flattern weckte eher zärtliche Gefühle, war aber sehr schön und sehr angenehm. Eine wohlige Wärme breitete sich in mir aus, ich legte wieder die Beine auf die Brüstung und kuschelte mich an Ignaz. Ich war absolut und wunschlos glücklich. Ignaz roch nach würzigem Heu und ein bisschen nach der Kuh Anna, jetzt beugte er sich über mich, küsste mich … Leute, ich sagte es bereits: Ignaz’ Küsse sind zart und weich, sanft und innig - und doch voller Temperament und Leidenschaft. Sie sind anders als Emirs Küsse, aber nicht weniger schön, nein, ganz und gar nicht.
Der Wind, der von den Bergen herunterkam, bewegte die Tannenwipfel. Das Geräusch, das dabei entstand - sorry, absolut sorry, Leute -, ist nur mit einem superaltmodischen Wort zu beschreiben: mit Raunen. Es hört sich tatsächlich so an - und
sieht auch so aus -, als ob sich die Tannen zueinander neigten, um sich leise in der Abenddämmerung zu unterhalten. »Hast du das Mädchen gesehen, diese Zippi?«, könnte die eine sagen. »Ist die nicht ganz und gar unmöglich? Mittags küsst sie ihren alten Heimatlover, abends liegt sie, ganz der harmlose Unschuldsengel, in den Armen ihres Ferienlovers. Das kann nicht gut gehen, oder? Was meinst du?« Und ihre Nachbarin-Tanne würde ihr zustimmen. »Meine Liebe, sie ist noch jung. Sie muss Erfahrungen sammeln. Aber wir alten Tannen wissen natürlich, dass sich das Unglück schon über ihrem Kopf zusammenbraut.«
Nun würde die Erste mitleidig tststs machen. »Wir wissen aber auch, dass auf Regen Sonnenschein folgt und manches, was als Unglück daherkommt, der Anfang eines großen Glücks sein kann.«
Himmel, dachte ich entsetzt, ich glaub, ich hab sie nicht mehr alle! Ich, Zippi, die mit beiden Beinen fest auf dem Alltagsboden steht, denke mir Tannengespräche aus!? Das hört sofort auf! Ich bin doch nicht fürs Ausdenken zuständig, die Rolle steht Cas zu, meinem zweiten Freund aus der Stadt!
Cas, mit vollem Namen Caspar-Friedrich von Feldthirsch, widmete mir seit Jahren seine Gedichte - pro Woche erhielt ich mindestens einen Packen voller Zeilen über Sehnsucht, Wehmut und Liebesleid. Allerdings gebe ich ohne Umschweife zu, dass ich fast nur die Anfangszeilen überfliege, denn immer Liebessehnsucht und Liebesleid sind auf die Dauer ziemlich ermüdend. Ich meine, es ist voll langweilig - obwohl ich natürlich weiß, dass Cas ein berühmter Dichter werden wird, weshalb ich auch alle seine Gedichte in alten, aber geschmacklich ansprechenden Schachteln aufbewahre. Die erste ist schon voll, was beweist, wie ernsthaft ich an Cas’ Talent glaube. Und wenn er dann mal als erster Dichter des Landes auf dem Siegertreppchen
steht, komme ich ganz groß raus, ich, Zippi, seine große Liebe, die von Anfang an voll hinter ihm stand!
Seine Gedichte begannen immer ungefähr so:
Das Segel bläht sich im Wind
All meine Gedanken bei meiner Liebe sind …
Oder:
Möcht fliegen geschwind
Dorthin, wo die Berge sind …
Also, um es kurz zu machen, das romantische Denken werde ich Cas überlassen, ermahnte ich mich und widmete mich wieder Ignaz’ Küssen, die es wirklich in sich hatten und mich
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