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My Story. Streng geheim. - Aller guten Jungs sind drei

Titel: My Story. Streng geheim. - Aller guten Jungs sind drei Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: cbj Verlag: Verlagsgruppe Random House GmbH
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etwas, was Cas, der Dichter, gewiss mit »schimmernden Perlen und diamantenen Spitzen« beschrieben hätte. Es war so schön, dass ich stehen bleiben musste. Zippi, sagte ich mir, du müsstest jeden zweiten Tag so früh aufstehen. Warum tust du das nicht? Du versäumst so viel Schönheit. Stell dir vor, du wärst heute nicht kurz vor sechs aufgestanden! Du hättest nie erfahren, wie schön ein Morgen sein kann, und wenn du gestorben wärst, hätten deine Augen nie dieses Silberblassblau gesehen.
    Zum Glück lebte ich ja, aber zum ersten Mal beneidete ich Cas, der Schönheit nicht nur angucken, sondern mit Worten auf Papier legen kann. Als Malerin könnte ich es mit Pinsel und Farbe, aber leider schaffe ich nur Strichmännchen, und die eignen sich nicht für Landschaften.
    Ich könnte fotografieren, fiel mir ein. Klar, da musste man ja nur auf eine Taste drücken. Das wäre selbst von mir zu schaffen. Ich prägte mir die silberne Farbe ein, weil die nächsten Vorhänge für mein Zimmer unbedingt diese Farbe haben müssen. Hundertpro!
    Cas wartete schon auf mich. Anstatt mir einen wunderschönen Morgen zu wünschen, sagte er: »Zippi, stell dir vor, an der Stadeltür liegt eine zugeschnappte Falle.«
    »Mit oder ohne Maus?«
    »Mit einer zerquetschten Maus.« Er legte die Hand über die Augen. »Ein furchtbarer Anblick!«
    »Hättest eben nicht hingucken dürfen.«
    »Wie kannst du nur so herzlos sein!«
    »Sorry. Ist Zenza schon auf?«
    »Ja. Und Emir ist noch vor mir aufgestanden. Er war weg, als mich die Uhr weckte.«

    »Das ist ja wirklich komisch. Langsam mache ich mir Sorgen um den Jungen. Lag er denn überhaupt in seinem Schlafsack?«
    »Als wir kamen, hat er schon geschlafen.«
    »Klar, er muss ja total übermüdet sein.«
    Wir winkten Zenza zu, die die Ziegen melkte. »Zippi, wann besuchst mich mal wieder?«
    »Sobald es regnet!«
    »Was habt ihr vor?«
    »Ich will Cas die Klamm zeigen!«
    Wir beeilten uns. Von Zenzas Hütte aus geht es immer nur bergab. Ich berichtete Cas von der ersten Klammbegehung, als Emir, der fast schlappgemacht hätte, aber dann doch noch mit Franzls und Ignaz’ Hilfe die Brücke bezwungen hatte.
    »Cas, bist du schwindelfrei?«
    »Ich denke schon.«
    »Das ist gut.«
    Ich schilderte ihm dann auch noch Emirs Siegestanz, wie er rückwärts in die Starzlach geplumpst war und wie er sich den Schwindel am Hang oberhalb der Jägeralpe abtrainiert hatte.
    Als ich Cas alles Wichtige berichtet hatte, bogen wir um eine Ecke und standen nach wenigen Schritten an der Stelle des Siegestanzes. Wir bewunderten die munter dahinplätschernde Starzlach und beeilten uns dann, weil Cas’ Magen schon knurrte, obwohl wir erst am oberen Ende der Schlucht standen.
    An dieser Stelle muss man keinen Eintritt bezahlen. Rechter Hand ist der Hang, links fließt der Bach, der Weg ist schmal, schlüpfrig und voller Wurzeln und Felsen, die aus der Erde rausgucken. Man muss aufpassen, dass man nicht rutscht und auf dem Hinterteil landet.
    Wir passten auf, bogen um ein, zwei Ecken und …
    »Stopp!« Ich hielt Cas mit der Hand fest und deutete mit
dem Kinn nach vorne. Wir sahen die Brücke, die in dieser schwindelerregenden Höhe an genau der Stelle, wo die Klamm ganz eng ist und die Starzlach so besonders wild schäumt, über dem Bach hängt.
    Genau in der Mitte der Brücke stand eine Gestalt. Sie hielt die Hände vors Gesicht, jetzt nahm sie sie weg, blickte kurz in die Tiefe und presste sie ruckzuck wieder vor die Augen.
    Die Gestalt machte das oft; schätzungsweise zehn Mal beobachteten wir das Wegnehmen und Hindrücken der Hände.
    »Emir«, flüsterte ich. »Das ist Emir. Was macht er nur?«
    »Er trainiert.« Cas flüsterte auch, obwohl Emir weit weg und der Bach sehr laut war. »Er trainiert sich den Sog ab.«
    »Welchen Sog?«
    »Wenn du irgendwo hoch oben stehst und in die Tiefe blickst, meinst du, eine unsichtbare Kraft würde dich nach unten saugen. Das nennt man Sog.«
    »Ist das ein unangenehmes Gefühl?«
    »Ein fürchterliches sogar. Du kommst dir komplett ausgeliefert vor. Weißt du, dass Goethe …«
    »Goethe?«
    »Schiller und Goethe. Die Dichter. Hast bestimmt schon mal von ihnen gehört.«
    »Klar. Schiller und Goethe. Deine Konkurrenten, die dir aber nicht mehr die Butter vom Brot nehmen, weil sie schon ewig tot sind. Was war mit Goethe?«
    »Goethe war auch nicht schwindelfrei. Er ärgerte sich darüber und trainierte genau wie Emir. Allerdings nicht in einer Klamm, sondern im Straßburger

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