Myrddin
sie verpflichtet waren, ihnen zumindest für eine Nacht unentgeltlich Obdach zu gewähren“, ergänzte Myrddin.
„Doch weißt du, ob es diese Menschen heute noch gibt oder ob sie bereits der Geschichte angehören?“
„Nein, wissen kann ich es nicht. Aber ich kann es mir denken. Die Menschen werden sicherlich ihr uraltes christliches Brauchtum wie eine heilige Kuh gepflegt haben, meine ich.“
„Myrddin, ich halte es für einen riskanten Plan, da er auf Vermutungen beruht. Und ich halte ihn für unüberlegt, da er dich nur ein kleines Stückchen weiterbringt. Bedenke nur: in Britannien wirst du mit Tieren reisen. Und hatten gewöhnliche Bettelmönche Tiere bei sich? Du erkennst hoffentlich die Schwäche deines guten Gedankens. Du mußt etwas darstellen, was kein Mensch anzweifeln kann – und was dir gestattet, etwas wunderlich sein zu dürfen, damit die Menschen dir gegenüber nicht frühzeitig mißtrauisch werden. Ich glaube nicht, daß du den Menschen das Altertümliche an dir vollkommen verbergen kannst. Gab es unter euch nicht auch fahrende Sänger, Skalden und Barden … die sich ihr Brot mit Liedern verdienten?“ überlegte Halvdan.
„Fürwahr, fahrendes Gesinde …! Lieder kenne ich genug, habe aber keine Instrumente bei mir. Doch du bringst mich auf einen Gedanken. Akrobaten wird es geben können, die sich zur Schau stellen. Die Menschen waren und werden immer noch sensationslustig sein. Es gab große Akrobaten und Selbstdarsteller, die sich verdient gemacht hatten. Gruppenweise sind sie durch die Lande gezogen und haben wilde Tiere gezähmt. Sie haben allerorts Vorstellungen gegeben und man hat sie mit Almosen unterhalten. Es gab Bären, die sie dressiert hatten, und Schlangen, denen die Zähne gezogen worden waren. Es war ein buntes Völkchen gemiedener Leute, die trotzdem oder gerade deshalb ohne Passierscheine durch die Lande fahren konnten.“
„Und du, Myrddin? Was kannst du, um dich solchem Gesinde anzuschließen? Welche Talente hast du vor uns verborgen? Oder welches deiner Talente ist dir des Menschen wert?“ forschte Caspar.
„Ich kann ihnen Illusionen geben, deretwegen sie die Vorstellungen besuchen, Caspar. Ich könnte die Menschen ein bißchen verzaubern, sie betrügen, wo sie betrogen werden wollen, ohne daß es ihnen weh tut, weil sie wissen, worauf sie sich einlassen, wenn sie an solchen Schaustellungen teilnehmen. Es ist für sie ein Zeitvertreib …“
„Myrddin … Entschuldige, aber mir fällt gerade etwas ein, von dem ich möchte, daß du es errätst!“ unterbrach Caspar, und man hörte ihm gespannt zu. Die Vanyar schätzten gute Gedanken und Wortspiele, die unvermittelt in eine Unterhaltung eingebracht wurden.
„Es war vor langer Zeit, das Ehre verteilt worden war und viele Geschlechter nach bitteren Kriegen zusammengekommen waren, die niemand in nur einem Atemzug bei all ihren Namen nennen könnte. Man bedachte sie ganz unterschiedlich, ihren Geschlechtern, Rängen und Verdiensten angemessen. Und es war, daß sich der Glanz eines Schwertgürtels in den geschliffenen Spiegeln der Äonen vergnügte. So sage du mir nun, Myrddin, wovon ich sprach – und ich sage dir, ob du dich deines Verses würdig erwiesen hast.“
„Caspar, lasse uns überlegen, wie ich …“
„Ich werde dich entlassen, wenn du dich erinnerst, Myrddin …“, sagte Caspar, und Myrddin erblaßte vor Scham, dachte er doch an seinen Eschenstab. Er dachte aber auch gleichzeitig an einen Gürtel, an Glanz und Spiegel. Er dachte an Widerschein, an Eiskristall, an Excalibur – und er dachte an Kristall.
„Nun gut … Ich denke an Kristall.“
„Und ich … ich werde dir sagen, daß ich an den Stein des Alnilam denke, Myrddin“, erwiderte Caspar stolz und Myrddin spürte die Schande, die er über sie gebracht hatte, da er seinen Stab verloren geben mußte – eine Schande, die Caspar aus Kübeln über ihm ausschütten wollte. „Und falls ich Furcht und Scham in deinen Augen sehe, so sind sie dir wohlverdient. Aber lasse dir sagen: der Stein des Alnilam ist bei dir. Du hast ihn geschützt und deinen Stab in deinen Gürtel gewunden. Wir waren es, die dich von ihm befreiten – nicht wie Räuber, sondern wie Ammen …“
„Ihr habt meinen Kristall und den Stab?“ rief Myrddin laut vor Freude. „Ich dachte, ich hätte ihn auf immer verloren, und es wäre das Schmerzlichste in meinem Leben gewesen. Das ist wundervoll. Es ist herrlich. Ganz großartig, meine Freunde …“
„So wirst du
Weitere Kostenlose Bücher