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Myrddin

Myrddin

Titel: Myrddin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jonathan Saunders
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nicht zu entdecken. Vielleicht verband sie ein Erlebnis aus ihrer Jugend? Vielleicht schweißte sie auch bloß das Alter zusammen. Oder Palluck hatte einen Zauber, der Myrddin bisher verborgen geblieben war, da er vielleicht nur auf bestimmte Frauen wirkte? Jedenfalls wollte er sich vor Tralee in acht nehmen. Palluck war ein gutmütiger Trottel, der auf seine letzten Tage wartete, da er zu schwach war, sich den letzten Tag selbst herbeizuführen. Deshalb flüchtete er wahrscheinlich in seinen Alkohol und versuchte, diesem Freund die Verantwortung zu überlassen. Daß es bei Palluck mehr hätte geben können als seine Trunksucht, glaubte Myrddin derzeit nicht im entferntesten. Er hoffte nur, so bald wie möglich seine Beine wieder bewegen zu können, in die bereits pochend schmerzendes Leben kehrte, das er begrüßte, doch noch mehr bejubelt hätte, könnte er seine Kräuter, die er verloren hatte, zur Schmerzlinderung verwenden. Seine Zehen fühlten sich wie aufgeblähte Därme an, die er derzeit nur unter enormen Schmerzen bewegen konnte. Seine Waden waren wie wundes Fleisch, dessen Muskelfasern über Messerklingen gezogen wurden. Und seine Oberschenkel tauten aus dem Eis, das das Vergangene spüren ließ. Was wäre, würde er nur noch als kriechender Rumpfsack zu gebrauchen sein? Hätte er sich dann nicht auch den Inzüchtigen gleich durch den Schlamm ziehen müssen? Er hatte wirklich Glück gehabt – ein unverschämtes Glück, und was wollte man noch von ihm, daß er trotz seines Glückes dieses Jammertal durchschreiten mußte? Er versuchte, eine Erklärung zu finden und verborgene Zeichen in dem Erlebten zu entdecken. Doch bei seinen klaren Gedanken blieb ihm nur, daß sich das Geschehene nur zufällig ereignet hatte, ihm grundlos widerfahren war und die See ihn genauso gut hätte ertränken können, ohne daß es einen Sinn gehabt hätte. Es entsprach der angeborenen Gewalt einer Wildnis, die man zu gängeln versucht hatte, glaubte er, als Tralee aus ihrem Schlaf erwachte.
    Myrddin schloß die Augen, denn obwohl er sehr selten Schlaf benötigte, wußte er, daß das Durchwachen von Tagen und Nächten den Menschen unheimlich erscheinen würde. Menschen schlafen nachts, wachen in der Morgenröte auf, gehen ihren täglichen Geschäften nach – essen, arbeiten, amüsieren und paaren sich – und legen sich nachts wieder zum traumvollen Schlafen. Und Myrddin schlief nicht. Doch er wollte keine Verdachtsmomente aufkommen lassen und so stellte er sich schlafend. Diejenigen, die nicht schliefen, waren den Schlafenden unheimlich – und da die Schlafenden in der Überzahl waren, entwickelten sie für sich bizarre soziale, medizinische und seelische Motive, weshalb Menschen zu schlafen hatten, sogar schlafen müßten und weshalb die Schläfer bessere und zurechnungsfähigere Wesen seien als die Nichtschläfer.
    Tralee jedenfalls war eine Schläferin. Und sie war aufgewacht, streckte sich steif, reckte ihre Arme und gähnte. Ihr erster Blick fiel auf das Ofenfeuer, das noch glühte und auf das sie noch ein Stück geschlagenen Holzes legte. Sie gähnte abermals, lachte, nahm sich mit einem Becher Wasser aus dem Kübel, öffnete vorsichtig die Tür, um Palluck und Myrddin nicht zu wecken, ging in den dunklen, eisigen Nebel, der in ihrer Nase kribbelnd gefror, wusch sich ihr Gesicht, gurgelte und bibberte. Das Wasser machte sie klamm und die Temperatur des frühen Wintermorgens kroch in ihren Körper. Das restliche Wasser goß sie aus, gähne nochmals und kam wieder in den Raum unter dem Dach.
    Palluck machte nicht die geringsten Anstalten, an diesem Morgen erwachen zu wollen, als Tralee Wasser in den Kessel füllte und ihn auf die Herdplatte stellte. Unter ihren Schritten und Bewegungen knarrten die Holzdielen des Fußbodens.
    Myrddin beobachtete die Frau unbemerkt. Tralee hatte eine Anmut in ihrer grazilen Haltung, die ihm beachtlich erschien. Ja, sie hatte sogar etwas Verführerisches an sich. Ihre gesamte Art ließ ihn vermuten, daß sie von vornehmer Herkunft sei.
    Tralee ging währenddessen so leise sie konnte durch den Raum, stellte sich vor den Fellblouson von Myrddin, befühle ihn und streichelte das wattig-weiche getrocknete Fell. Es glitt durch ihre Hände wie Wellen durch ein bewegtes Kornfeld.
    „William Myrddin …“, sprach sie vor sich hin, „… du bist ein geheimnisvoller, wohlerzogener Mann. Ich spüre, daß ich dich irgendwoher kenne … oder dich zumindest kennen sollte. Warum nur bist du mir nicht

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