Myrddin
Winterwäldern gewesen. Man konnte sich sehr einsam in ihnen fühlen und seine Melancholie mit den jahreszeitlichen Trachten der Bäume teilen, gerade wenn sie ihre Kleider fallengelassen hatten. Heimische Vögel gab es in geringer Zahl und meist waren es die Meisen und Buchfinken, die in den Hölzern verharrten. Eichkatzen hatten sich in ihren wolligen Baumhöhlen verkrochen und lugten nur selten verschlafen aus ihren Nestern, um sich eine Nuß oder Buchecker zu holen, die sie zernagten und sich dann wieder schlafen legten. Doch Füchse und Wildhunde waren als Wächter durch die Wälder gestreift, der Luchs war damals heimisch gewesen und kein Tag war vergangen, an dem man nicht einen Sperber, Habicht oder Falken sehen konnte, die die Wildtauben aus den Zweigen scheuchten und durch das Geäst jagten. Es hatte ein Leben gegeben – ein stilles, banges, zitterndes Treiben, das dem Winter stets seinen Tiefschlaf verwehrte, ihn aber auch nicht wecken wollte. Es hatte die Goldammern und Drosseln gegeben, die man hören konnte. Doch dieser Wald, durch den er lief, war auf eine ganz andere Art winterlich. Es war der Winter seines Selbst, in dem er stand. Schweigend war er, war zu einem leblosen Begriff der Landschaft geworden und stand, weil er noch stehen konnte, obwohl er schon kein Leben mehr besaß. Das Rascheln und Knistern in einem Wald, in dem es noch Tiere gab, und wären es auch nur die aufgeplusterten Sperlinge gewesen, war verstummt, und Myrddin wußte nicht genau, ob er sich die Dinge nur einredete oder ob dieser Wald wirklich am Sterben war. Er schien durchforstet worden zu sein. Sein einstiges Dickicht hatte er verloren, gleichwohl sein Boden herrlich weich war. Der erste kleine Bach, der Till, war dahingeplätschert, und er schmeckte erbärmlich nach Mensch, gleichwohl er den bösen Erwartungen noch nicht entsprach, die durch Brian in Myrddin gesetzt worden waren, als sie ihm von den Giften und toten Wassern erzählt hatte. Das Wasser des Till war sicherlich kein erlesener Genuß, den sich ein durstiger Wanderer auf seiner Wanderung wünschen konnte, was der Zauberer zugeben mußte, aber es war trinkbar und entsprach nicht der befürchteten stinkend-dampfenden Brühe verätzter Fischleiber. Fische hätte es zu dieser Jahreszeit ohnehin nicht gegeben. Doch es blieb der Wald, der Myrddin Sorge bereitete. Es gab keine Tierstimmen mehr in ihm. Er hatte seine Natur verloren. Und Baumriesen, die er zu begrüßen hoffte, hatten sich längst aus dem Boden befreit und waren von dannen gezogen, mitsamt ihrem Gedächtnis und Charakter. Tausend Jahre hätten für einen gesunden Baum lebbar sein können, wußte Myrddin, und nur ein Jahrtausend – mehr oder weniger – war er fort gewesen. Aber wo war das Leben, wo waren die Bäume, die er als Eichel hatte fallen sehen, bevor sie, ihr erstes Keimblatt befragend, ihren jungen Stamm aus dem Erdreich gestreckt hatten? Vielleicht wurden nur die Randgebiete von den Menschen heimgesucht, so daß sich die Ahnen der Hölzer in die entlegeneren Regionen des Waldes zurückgezogen hatten.
Myrddin war traurig und über den Befall der Bäume enttäuscht. Es kränkte ihn, daß nicht einmal Krähen in den Wipfeln zu hören waren noch der aufgeschreckte Ruf eines Hähers durch das Spalier sägte, um seine Freunde vor dem Menschen zu warnen. Oder hatten die Menschen die Tiere durch einen Trick aus dem Wald gelockt, so wie die Pfaffen die Menschen damals beschwatzt und in die Kapellen gelockt hatten, um sie dort einzusperren? Was konnte es sein, das den Tieren den Wald ersetzte?
Er war müde geworden, atmete trotz arger Bedenken die gute Luft und entrollte sein Bündel mit dem Fellanorak, stülpte ihn sich über und setzte sich an einen Baum. Sein Appetit auf eine gute Mahlzeit war ungebrochen, und er dachte an einen zarten Fasan, mit Pflaumen zubereitet. Dazu frischgebackenes Weizenbrot und einen Krug voller Met oder Honigmilch oder einen blumigen Fruchtwein. Seine Kräuter hatte er verloren, sein Trockenobst, sein Brot und seinen Honigbottich hatte er für sein Leben eingetauscht. Doch was hätte er jetzt für seine Säcke gegeben, hätte er sie nur bei sich haben können. Er dachte auch an einen guten Schluck Sanddornsaft und an kremige Butter auf Honigkuchen, die in Steinöfen gebacken worden wären. Wie konnten Menschen aus Blechdosen essen, gleichwohl ihre Konservierungsmethoden erstaunlich waren? Aber wie konnten sie den schalen, eintönigen Geschmack mögen, wenn sie nicht auf
Weitere Kostenlose Bücher