Myrddin
Aufsehen.“
„Da hast du recht“, stimmte Merlin nachdenklich zu. „Was also schlägst du vor, Melchor? Wie sollen wir reisen?“
„Wir sollten uns die Kälte zunutze machen und vor der Küste über das Eis laufen, o Merlin. Die Fischerboote sind in den Häfen eingefroren. Menschen wagen sich nur selten und äußerst widerwillig auf das freie Eis hinaus. Sie bewegen sich lieber auf ihren Straßen und Wegen. Würden wir also auf dem Eis vor der Küste laufen, hätten wir keine steilen Hänge zu bewältigen, kämen gut und schnell voran und wären vor den Menschen mitsamt ihren Siedlungen sicher. Wir brauchten uns keine Sorgen vor irgendwelchen Fallenstellern zu machen, da wir um uns herum stets eine gute Sicht hätten.“
„Eine vorzügliche Idee, Melchor“, entfuhr es Merlin, der niemals zuvor eine so weite, gewagte Wanderung auf dem Eis unternommen hatte. Wahrscheinlich war es sein menschlicher Instinkt, der ihn vor solchen Ausflügen warnte, und folglich wären auch die anderen Menschen durch eben diesen Instinkt gewarnt, was ihnen wiederum natürlich eine große Gewähr auf unbemerktes Wandern versprach.
Merlin kam das Boot in den Sinn … die Nußschale, wie er sie genannt hatte.
„Natürlich! Auf dem Seeweg …! HAMAMELIS … so werde ich es nennen … das Boot, meine ich“, erklärte er Akita und Melchor und erzählte ihnen erst jetzt, wie er seine Nußschale HAMAMELIS aus Vannareid geholt hatte. „Ich werde es HAMAMELIS nennen, Melchor. Das ergibt jetzt alles einen Sinn!“ freute sich Merlin, da er Dinge sah und tat, die sich manchmal auch für ihn nicht erklären ließen und die sich dann plötzlich zusammenfügten. Wie Mosaikteilchen. Merlin schaute auf die Karte, die vor ihm ausgebreitet lag, und nickte mit dem Kopf. „Prächtig. Alle großen Eroberungen Britanniens wurden von See her begonnen – wie auch sonst. Es wird ein heimlicher Feldzug werden, so wie Hannibal seine Elefanten über die Alpen führte und wie er als Fata Morgana den Römern vor den Toren der Ewigen Stadt erschien. Einfach großartig. Allerdings wird die Passage der Shetland-Schwelle schwierig werden. Wir stoßen dort auf die gewaltigen Meeresströmungen, Melchor. Aber … einerlei! Es wird nicht leicht werden, doch wir werden unsere Ziele erreichen, die wir uns setzen. Davon bin ich überzeugt. Ja …, der Golfstrom und die Shetland-Schwelle …, das ist die schwierigste Stelle. Hoffentlich ist das Nordmeer bis zu den Shetlands zugefroren.“
„O Merlin, ich kenne die Shetlands nicht, doch wir sollten auf dem Eis gehen, soweit wir kommen, und uns erst dann weitere Gedanken machen. Ich jedenfalls kenne das Gebirge – und furchtbarer als die schreienden Höhen der sturmgenarbten Gipfel kann ich mir das Eis nicht vorstellen“, meinte Melchor.
„Also einverstanden. Wenn die anderen zurückkommen, wirst du mit Carus und Pacis sprechen und ich erkläre es Hörn. Hast du gehört, Samael?“ fragte Merlin, aus der Höhle rufend, und der Wolf, der immer noch auf dem Plateau lag, nickte ruhig. „Es wird uns allen gefallen, denke ich. Wenn ihr Hunger habt, Melchor, so weißt du, wo du die Vorräte finden kannst. Bediene dich, wann immer du möchtest. Morgen werden wir dann aufbrechen, um die eisige Wetterlage auszunutzen. Was für ein Winter und was für eine klirrende Kälte“, sagte Merlin und blickte zu den Wolken.
„Es wird eine klare Nacht und einige schöne Tage geben“, meinte Melchor und fügte lächelnd hinzu: „… falls wir daran nichts ändern, o Merlin.“
Melchor betrachtete forschend den sehenden Menschenfreund. Er wollte herausfinden, ob Merlin wirklich zu einer Reise bereit war. Die Wölfe kannten die Welt, kannten ihre rauhe Wirklichkeit und wußten um die Härten wie kaum eine andere Tierart. Sie rochen die Gefahren und waren mit der Zeit verwachsen. Merlin aber hatte in der Einsamkeit gelebt. Er wußte viel – wußte er aber alles? War er nicht vielleicht doch nur in seine eigenen Wunschträume verliebt? Trotz aller Ehrfurcht vor Merlin: manchmal erschien ihm der Seher sehr sonderbar. Er schien nicht ernsthaft genug und würde Gefahren vielleicht unterschätzen. Merlin kam ihm zuweilen wie ein Kind vor, das seine Konzentration verloren hatte und in dem Spielzeug um sich herum keinen Antrieb mehr finden konnte. Kühne Reden hatte Merlin geschwungen, doch war der alte Mann, wie ihn Melchor manchmal bei sich nannte, seinem tollen Vorhaben wirklich gewachsen? Melchor wußte, wie ihn seine Tatzen
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