Myrddin
den zerstreut suchenden Merlin, woher er all die Bücher habe.
„Havarien, Melchor …, von den Schiffen, die hier in den Stürmen an den Klippen zerschellten. Hörn und ich haben uns umgesehen und die Dinge, die uns wertvoll oder nützlich erschienen, mitgenommen. Wir waren exzellente Strandpiraten, was …“ In Gedanken deutete er auf einige dicke Einbände, die er zwei Regale tiefer aufbewahrte. „Das da sind all die Logbücher der Schiffe … Doch wo nur war das Kartenwerk? Wo ist es doch gleich?“ überlegte er laut und arbeitete sich tiefer in seine Höhle hinein, indem er die Regale absuchte. „… in omnibus requiem quaesivi et nusquam inveni nisi in angulo cum libro …“, murmelte er vor sich hin.
Andächtig lauschten Melchor und Akita und glaubten, eine seiner beschwörenden Zauberformeln gehört zu haben. Und dieser Eindruck verstärkte sich, als Merlin daraufhin lachend das gesuchte Werk fand. Er wälzte einen schweren Kartenband aus dem Regal. Als er das Buch öffnete, zeigten sich alte, hadernhaltige Seite, auf denen von Kartographen und nautischen Navigatoren handgezeichnete Karten waren. Es hatte Karten von offenbar allen Teilen der Welt zum Inhalt.
Merlin setzte sich zu Melchor. Die Wölfe erkannten fadige Linien, Striche und Beschriftungen, die sie nicht entziffern konnten. Merlin blätterte in dem Buch, um die richtige Karte zu finden – die Landkarte Skandinaviens, über Norwegens Hochland und seine Küste.
„Das Baltische Meer, die Ostsee … und hier haben wir es: das Nordmeer, West- und Südskandinavien.“ Verträumt blickte er auf die Karte und überlegte, wie lange es wohl her sein mochte, daß er das letzte Mal durch die Gebirge gestreift war. Es kam ihm wie eine Unendlichkeit vor, daß er in Börgefjellet und in Foßen gewesen war. Seit Jahrhunderten lebte er durch die Erzählungen der Vögel, meistens von den Geschichten der Dohlen und der Gänse, von den Wölfen und den wenigen Walen, die kurz an seinen Ufern weilten, bevor sie weiter nach Island zogen. Und seine Bilder fortträumend fesselten ihn Erinnerungen an die Küste Britanniens, die Schönheit von Wales und Cornwall, und es woben sich die Bilder seiner großen Liebe ein. Es erschien das Gesicht von Nimue vor ihm – oder, wie er sie lieber nannte, von Vivien –, die ihm viele Geheimnisse seiner Kunst entlockt hatte. Sie waren damals oft gemeinsam gereist, hatten sich sogar über den Kanal schiffen lassen und das Festland besucht. Es waren die Bilder von Landschaften natürlicher Wildheit und in sich verwachsener Linien, zu einer Zeit, in der man Menschen suchen mußte, da man ihnen ansonsten in den Weiten Europas nicht begegnet wäre.
Von den Streifzügen in die Vergangenheit zurückgekehrt blickte Merlin wieder auf die Karte, die jedoch nicht alt genug war, als daß die Städte Trondheim, Bergen, Stavanger und Oslo nicht bereits eingezeichnet wären. Die Lofoten und Vesteraalen trugen auch schon ihre Namen, und Merlin kam wieder zu sich. Die wilde Ursprünglichkeit Skandinaviens hatte Namen erhalten und jeder Name beunruhigte ihn, da die Gegenden von Menschen heimgesucht und erforscht waren. Sie waren vermessen und auf Papier dokumentiert.
„Ich entsinne mich einiger Wege durch das Gebirge, auf denen wir keinen Menschen begegnen dürften“, sagte Merlin seinen Wolfsfreunden, die neben ihm auf dem Boden lagen und vergeblich auf den Zeichnungen die Landschaften suchten, die er durchwandert haben wollte und die sie kannten.
„O Merlin. Das Papier, das ich vor dir sehe, ist mir sehr rätselhaft. Ich kenne alle Wege durch Skandinavien, kann sie aber mit den Strichen auf den Karten nicht zusammenbringen. Ich kann meine Erfahrungen der Wege in deinen Karten nicht wiederfinden. Doch lasse mich dir sagen: wenn du nach Britannien möchtest, in ein Land, das ich durch deine Erzählungen kennenlernen durfte, und dieses Land im Süden liegt, solltest du die Pässe und Pfade der Gebirge meiden. Solltest du jedoch wünschen, durch das Gebirge zu reisen, werden wir dich selbstverständlich auch dort begleiten. Doch der Winter ist hart, wir haben hohen Schnee in den Tälern und die Wege sind steil. Kaum kann ich annehmen, ungesehen durch die Berge zu wandern, da Menschen unterwegs sind, die sich heute ihre Zeit auf sehr eigenartige Weisen vertreiben. Wildhüter sind allerorts zu riechen und eine Reisegesellschaft von Grauwölfen, einem Hirsch und einem Menschen, o Merlin, erweckt in der gegenwärtigen Welt sicherlich einiges
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