Myrddin
du auch jetzt aus den Wassern trinken könntest, wenn du es wolltest?“ fragte Hörn und zog abermals die Kraft Myrddins in Zweifel.
„Natürlich, Hörn. Was besorgt dich nur? Bitte mich aber um keine Vorstellung meiner Kunst. Die Vanyar sind gerade unterwegs … und welche Puppen könnte ich sonst tanzen lassen, wenn nicht sie, hmmm …?“ machte er seinen Spaß, obwohl er den ernsten Zweifel bei seinem Hirsch bemerkte, von dem er sich nicht erklären konnte, wie dieser Zweifel entstanden war. „Was ist ein Leben schon wert, das sich nicht jeden Tag aufs neue belegen muß, was …?“ schloß er dieses Thema ab.
Und sie sprachen über allerlei, was die Wölfe Melchor erzählen wollten und was sich Akita und Pacis zu merken vornahmen. Das Lichtzelt des Steins des Alnilam spendete ihnen ein warmes, höhliges Dach, das sie erst vermissen würden, wenn sie wieder in Schweden wären. Und bis dahin könnten Ewigkeiten vergehen. Die Gegenwart wurde von dem Nebel verschlungen, der über den Tälern und Hügel stand und ihre Gemeinschaft zu schützen hoffte, ohne daß sie ihn vor der Grotte spürten. Der Mäusewald , wie Akita den ehrwürdigen Coed Celyddon nannte, war weit und der Geruch der Fäulnis stieg nicht zu den Höhen des Hart Fell hinauf. Er hing über dem Waldboden und schien den Wölfen ein Zeichen von Verendung zu sein. Umso angenehmer war die Luft vor der feuchten Grotte, aus der ein perlender Quell floß, der sich durch ein kleines, rostfarbenes Becken in die Tiefe stürzte.
Akita fühlte bereits den Strick um ihren Hals, den Myrddin ihr binden wollte, falls sie in die Menschenwelt gehen wollten. Er schnürte ihr den Atem ab, als wollte man ihr ihre Frucht aus dem Leib reißen. Sie würde würgen müssen, und es würde ihr elendig vor Augen werden. Sie konnte nicht verstehen, wie ruhig Pacis die unglaubliche Androhung hingenommen hatte. Oder solle sie ihn vielleicht mißverstanden haben, überlegte sie – und sie beschwor die Menschen heimlich, trotz ihres Strickes ihr niemals zu nahe zu kommen, da selbst ihre nur vorgetäuschte Zahmheit noch zu wild für die Gaffer sein würde, denen sie zu begegnen fürchtete.
Neben Pacis dösend lag Hörn, während sich Akita die Bilder eines Zirkus’ vorzustellen versuchte, in dem die Menschen mit der Zurschaustellung von Tieren Geld verdienten, die selbst altes, abgehangenes Fleisch fressen und jeden Tag mit Menschen leben müßten, deren Brüder soviel Leid über ihre Art gebracht hatten.
Myrddin betrachtete die Gefährten, dachte an Melchor, der seiner Treue gefolgt war und dem nichts auf seinem Weg durch Schweden geschehen würde. Wie stolz wäre der große Grauwolf gewesen, hätte er bei ihnen bleiben können. Myrddin bedauerte, daß er seine Kräuter nicht mehr bei sich hatte, aus denen er den Wölfen einen Trank hätte zubereiten können. Den Wurzelstock, den er Hörn auf die Reise mitgegeben hatte, hatte er zurückbekommen, doch für die Wölfe wäre er zu stark gewesen. Und so saßen sie friedlich beisammen, als er von der Felswand aufstand, an die er sich zuvor gelehnt hatte, sich streckte und etwas Wasser trinken wollte. Er hatte eine unergründliche Ruhe in sich gefunden, zu der er fähig war, wenn er ausgeglichen mit Freunden weilen konnte. In seinem Gesicht schliefen die Kinder des Frohsinnes und der Muße beisammen und er hätte Gedichte vortragen und singen oder Legenden erzählen können, die ihm die Wochen, ja notfalls die Monate hätten vertreiben können.
Die Grauwölfin sah Myrddin aufstehen, sich recken und zu seiner felsigen Wassermulde gehen, in die er sie des Morgens getaucht hatte. Sie sah ihn in den erdunkelnden Himmel schauen, bevor er sich niederkniete, um Wasser zu trinken, und sah ihre Chance gekommen, sich bei ihm für das morgendliche Bad zu revanchieren.
Da sich Myrddin von den Tieren abgewendet hatte, konnte er nicht bemerken, wie Akita leise aufstand und sich auf ihren Tatzen an ihn heranpirschte. Und kaum, daß er in das Wasser sah, erhielt er von hinten einen Stoß. Akita war ihn mit ihren Vorderläufen angesprungen und hatte ihn in das kalte Wasser gestoßen, in das er vollkommen hilflos und überrascht hineinplatschte.
Als Hörn und Pacis das sahen, mußten sie laut lachen. Akita stand hochbeinig am Wasserrand und Myrddin war kopfüber in sein Bassin gefallen, saß nun triefend naß im Wasser, das seinen ganzen Leib umspülte, und lachte ebenso herzlich über den gelungenen Streich der Wölfin gegen ihn, wie sie
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