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Myrddin

Myrddin

Titel: Myrddin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jonathan Saunders
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William … fünfzehn reiche Jahre habe ich jeden einzelnen Fahrplan in Moskau auswendiggelernt. Aber verpaßt habe ich alle Züge.
    Nicht einer, der mich nach Paris oder Mailand mitgenommen hätte. Die Bimmelbahn habe ich gerade noch erwischt, in der man die Hühner auf den nächsten Wochenmarkt bringt, in der man sich über die Nachbarn ausläßt, selbstgeschmierte Stullen ißt, die Hämorrhoiden auf den harten Bänken spürt und in der die Schulkinder die Hausaufgaben voneinander abschreiben.
    Aber die Gleichzeitigkeit … die habe ich nicht erreichen können. Ich bin derjenige, der ruft: Halt! Wartet noch! Ich habe mir etwas besonders Hübsches für euch ausgedacht … und der nächste Augenblick in meinem Leben wird mich erblinden lassen, William. Und wenn ich nicht aufpasse, wird er mich an einen Rollstuhl binden“, meinte Ganapathy. „Ja, die Physik hat mir einen Strich durch die Rechnung gemacht“, grübelte der Clown ohne Selbstmitleid und sah darin das nüchterne Resümee seines Lebens.
    „Meinst du nicht, daß du den Menschen auch Freude bereitet hast?“
    „O doch! Sicherlich ist mir das gelungen! Keine Frage. Jede meiner Falten ist die Freude eines Menschen gewesen und jede Falte von mir ist mein Kummer, ihnen nicht die Freude gegeben zu haben, die ich ihnen gerne gegeben hätte. Das ist es …“
    „Wenn du es so siehst …“
    „Ich muß es heute so sehen, weil meine Karriere längst beendet ist und ich nur noch wegen der Tiere hier ausharre, William. Es gibt keine Zukunft hier. Sieh dir Jacky an: sie wird in ein oder zwei Jahren die Männer ihres Lebens kennenlernen und sich anderen Plänen hingeben, da sie keine Artistin ist. In ihr ist die Hausfrau und Mutter überdurchschnittlich talentiert angelegt. Es fehlt ihr der herausfordernde, lodernde Drang, der sie nachts nicht schlafen läßt, solange es nur eine Bewegungsmöglichkeit geben könnte, die sie noch nicht ausprobiert hat, oder hätte sie eine einzige Faser ihres Körpers noch nicht erschöpft. Ihre Körperbewegungen werden andere sein. Es werden die gelittenen Bewegungen der Ehefrau unter ihrem Gatten sein. Keinesfalls mehr, eher ein bißchen weniger. Und die Lowells werden uns verlassen, wenn die Bilanzen nicht mehr stimmen – und damit sie stimmen, türken wir sie schon seit langem. Würde Shenann nicht eine zweite Buchführung machen und würden wir alle unsere Einnahmen angeben, hätten uns die Geier, wie zum Beispiel unser Agent, schon lange zerpflückt. So haben wir offiziell pro Abend meist zwanzig Besucher und streichen uns den Rest selbst ein, damit etwas zum Leben bleibt. Ein jeder hier weiß es und niemand spricht darüber, solange es gut geht. Unsere Betriebskosten sind einfach zu hoch. Und deshalb bin ich überzeugt, daß uns die Lowells nach der Saison verlassen werden. Und wer bleibt dann noch übrig? Alex. Natürlich. Der Feuerspucker. Er würde mit seinen feuerspeienden Künsten die Welt eher in Schutt und Asche legen als ein quengeliges Publikum begeistern. Alex … eigentlich wärst du ein besserer Pyrotechniker geworden“, lachte Ganapathy, „… aber du bist ein schlechter Artist. Und ich? Ich kann dann mit Shenann und Kippenhahn ein Sackhüpfen in der Manege veranstalten, die zu achtundneunzig Prozent der Bank gehört“, lachte der Clown weiter. „Dich hatte ich vergessen, William. Laß dich fragen, was du zu tun gedenkst, wenn sich Shenann und ich auf die nackten Bäuche schlagen, weil man uns das letzte Hemd ausgezogen hat, damit wenigstens Wetten auf uns abgeschlossen werden, wer dann wohl zuerst aus seinen Pantoffeln kippt. Was also willst du tun?“
    „Wie du schon sagtest, Ganymed. Ich spiele den Impressario und setze euch mit euren nackten Bäuchen in das rechte Licht. Vielleicht solltest du dir noch etwas Neckisches mit Schleifchen überlegen …“, sagte Myrddin in jeder Hinsicht zweideutig und sah, daß für den Clown alles anders kommen sollte, als er es meinte.
    „Prächtig, William! Übrigens … es tut gut, mit dir zu sprechen. Ich freue mich, daß du bei uns bist“, sagte Ganapathy zusammenhanglos. „Nein … aber es geht mir wirklich nur noch um die Tiere. Schon als wir die Dromedare verkaufen mußten, hat mir mein Herz geblutet. Das kannst du bestimmt verstehen. Du hast selbst Tiere. Der alte Shila war vorher einer von acht Tigern, die wir hatten, und er hat einfach das Recht, sein Gnadenbrot aus unseren Händen zu bekommen, weil er auch für uns gearbeitet hat. Mir liegt etwas an ihm

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