Myrddin
hatte ich einen Bruder, William. Der ist dann später im Krieg umgekommen. Jedenfalls gab es vor unserem Haus einen Dorfteich, der in kalten Wintern zufror. Und früher waren die Winter oft härter, als sie es heute sind. Und du kannst dir denken, daß wir damals als Kinder gerne auf dem Eis gespielt haben.
Es gab in unserer Nachbarschaft einen Jungen, der Jack hieß. Er war ein paar Jahre älter als wir, ein Einzelkind und ein komischer Vogel. Er wollte stets Aufmerksamkeit erregen, indem er irgendeinen Blödsinn verzapfte oder besonders schlaue Sachen erzählte, die wir damals nicht verstanden. So haben wir es früher jedenfalls empfunden. Eigentlich bin ich wegen Jack nach meiner Schulzeit nach Moskau gegangen …“, überlegte Ganapathy, „… aber das ist eine andere Geschichte. Egal.
Jack turnte immer verrückter als wir, hatte keine Ruhe, wenn er die Steine nicht weiter werfen konnte als wir oder er nicht höher als die anderen springen konnte. Und stets protzte er mit seiner Klugheit und Schläue. Er war einer der widerlichen Besserwisser. Jack war der erste, der im Winter das Eis probierte, und derjenige, der es mit Steinen zerwarf, wenn nach seiner Ansicht niemand mehr auf dem Eis spielen sollte. Keiner von uns mochte ihn damals und trotzdem forderte er uns durch seine großkotzige Art heraus, wie du dir denken kannst.
Es war in einem Winter, da mein Bruder und ich die Letzten sein wollten, die das Eis unseres Dorfteiches betraten, was uns eine Genugtuung verschafft hätte, wenn wir den Schlaumeier Jack hätten austricksen können. Und nachts haben wir uns dann angezogen, sind aus den Betten gekrochen, aus unserem Schlafzimmerfenster gestiegen und zum Weiher gelaufen. Unsere Eltern durften davon natürlich nichts wissen. Und wir sind also raus zum Eis gelaufen.
Das Eis war schon sehr brüchig und wippte richtig unter unseren Beinen, aber wir liefen von einem unheimlichen Mut beseelt über den Tümpel, damit nicht Jack wieder der letzte Klugscheißer sein würde, der vor der versammelten Dorfjugend über das Eis laufen könnte, bevor er es mit Steinen einwarf. Was glaubst du, wie stolz wir waren, als wir es geschafft hatten. Aber das Ende der Geschichte war, daß uns Jack beobachtet haben mußte, herausgekommen war und breitbeinig vor uns stand, als wir uns unseren Mut schon bewiesen hatten – was damals nur eine von vielen Mutproben war. Jack jedoch hatte sich hingestellt und laut gelacht, als ob er das, was die Ganapathys konnten, nicht auch können würde.
Und Jack ging über das Eis, lachte laut und lachte unseren Mut aus. Und er johlte, daß wir ihm zusehen sollten … und Jack … Er brach in das Eis ein. William, wir haben ihn als Kinder einbrechen und untergehen sehen. Noch nicht einmal nach Hilfe konnte er rufen. Er ist sang- und klanglos ertrunken.
Und du, William, du kommst mir manchmal vor wie dieser Jack, wenn du weißt, was ich meine … Ich glaube, du möchtest dir oder anderen irgend etwas beweisen. Aber du bist nicht … ach, ich weiß es auch nicht.
Falls du sagst, daß du gehen möchtest, kann ich dich nicht aufhalten, selbst wenn es mir einen Alpdruck verschafft, der auf mir lastet. Ich werde dich nicht bitten, bei uns zu bleiben. Worum ich dich bitte, ist, daß du daran denken solltest, daß du nicht allein auf dem Eis stehst, sondern wir alle auf dem Eis stehen, auf das du uns geführt hast. Und wir werden alle mit dir einbrechen, falls du gehen solltest, befürchte ich …“, meinte Ganapathy.
„Erwartest du von mir, daß ich dir auch eine Geschichte erzähle, Maynard?“
„Siehst du, genau das meine ich. Du stellst dich nicht der Diskussion. Du weichst ihr aus, verschleierst und sagst, daß du noch eine bessere Geschichte kennen würdest. Du willst noch einen draufsetzen. Weshalb, frage ich mich? Du verfolgst damit doch einen Zweck. Du hast Probleme … aber ich weiß nicht, welche das sein könnten. Du erscheinst mir irgendwie profilneutrotisch …“
„Überschätze dich nicht, Maynard. Glaubst du nicht, daß ich Schwierigkeiten auch allein zu lösen verstehe, falls ich sie hätte?“
„Ja, da glauben alle Menschen … und darum ist die Welt, wie sie ist. Und heute … heute schreit die Welt nach dem Clown Ganymed, der ich nicht bin – und du willst irgendwann irgendwohin gehen und machst dir nicht die geringsten Gedanken, was du in anderen Menschen verursacht hast …“
„Was wäre aus euch geworden, wäre ich nicht zu euch gekommen …?“
„Wir hätten
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