Mystic City 2. Tage des Verrats (German Edition)
ausgestrahlt wurden. Die Leute denken, du stehst hinter dem, was er tut.«
Die Videos.
Ich denke an die Großbildschirme, auf denen die zusammengeschnittenen Bilder aus unseren Videochats gelaufen sind, an den Bericht aus dem Lazarett. Das alles hat sich stark auf die Moral hier unten ausgewirkt.
Kann ich das nicht zu meinem Vorteil nutzen? Indem ich die Leute direkt anspreche?
»Ich habe eine Idee«, sage ich.
»Oh, Himmel«, murmelt Shannon. »Jetzt geht’s los.«
»Turk, hast du deinen TouchMe dabei?«, frage ich.
»Ja. Wieso?«
»Kannst du mich filmen? Ich möchte eine Ansprache aufnehmen und dann über die Medien verbreiten. Wetten, das wird überall gezeigt?«
»Großartige Idee!«, findet Ryah. »Aber was willst du denn erzählen?«
»Die Wahrheit«, sage ich.
»Liebe Bewohner von Manhattan!
Sie haben mich schon häufiger auf Ihren Bildschirmen gesehen – nun ist es an der Zeit, mich einmal persönlich an Sie zu wenden. Einige von Ihnen sehen in mir eine Heldin, für andere bin ich eine der Hauptschuldigen an diesem Krieg und an dem Tod Ihrer Freunde und Verwandten.
Sie müssen wissen, dass es in dieser Stadt Menschen gibt, die weitere Todesopfer nicht scheuen, um ihre eigenen Ziele zu verwirklichen und Macht zu erlangen. Dazu gehören meine Eltern, mein Bruder und die Fosters.
Ich habe mich von diesen Menschen abgewandt, weil ich ihre Überzeugungen nicht teile. Seit ich Zeuge einer Abschöpfung geworden bin und seitdem ich unter den Menschen und Mystikern in der Tiefe lebe, weiß ich, dass es ein Verbrechen ist, Mystiker abzuschöpfen. Ebenso wäre es ein Verbrechen, Menschen gegen ihren Willen Blut abzuzapfen.
Obwohl ich meine Familie und die Horste verlassen habe und hier in der Tiefe mit Hunter Brooks zusammenlebe, kann ich nicht länger tatenlos zusehen, wie er diesen Krieg mit ebensolcher Aggressivität führt wie meine Familie.
Hunter Brooks ist ein guter Mann, aber er ist nicht unfehlbar. Seine Familie kämpft seit jeher für die Gleichberechtigung der Mystiker in Manhattan. Er handelt nach bestem Wissen und Gewissen, und viele von Ihnen halten seinen Kampf für richtig.
Ich kann seinem Kurs jedoch nicht länger folgen.
Hunter Brooks und seine Männer planen, heute in der Nähe des Empire State Buildings eine Bombe zu zünden. Diese Bombe tötet oder verletzt alle Nichtmystiker in einem Umkreis von mindestens einer Viertelmeile. Ich werde versuchen, den Anschlag zu verhindern, dennoch bitte ich Sie eindringlich: Wenn Sie das hier hören, verlassen Sie diese Gegend zu Ihrer eigenen Sicherheit.
Hunter Brooks möchte diesem Krieg um jeden Preis ein Ende setzen. Das wollen wir alle. Darum bitte ich Sie auch, in Hunter Brooks keinen neuen Feind zu sehen, wenn der Krieg vorüber ist. Die Dinge werden sich klären, und zwar friedlich und einvernehmlich. Ich glaube an einen Waffenstillstand. Und ich hoffe, Sie auch.«
Ich nicke kurz und Turk stoppt die Aufnahme. »Wow! Das war heftig.«
»Ist das jetzt gut oder schlecht?«, frage ich unsicher.
»Gut«, sagt er. »Sehr gut. Und sehr mutig.«
»Ach Quatsch.« Ich winke ab. »Ich bin nicht mutig. Ich sitze nur vor einer Kamera und labere. Die Leute draußen in der Tiefe, die im Krieg leben müssen, die sind mutig.«
Turk steckt den TouchMe ein, legt den Kopf schief und sieht mich an.
»Was?«, frage ich.
»Nichts. Dann bist einfach so … anders«, sagt er.
Ich weiß, er meint das als Kompliment. Doch obwohl ich weiß, dass ich mit dieser Ansprache das Richtige getan habe, habe ich gemischte Gefühle. Mein Vater hat einmal zu mir gesagt, Manhattan sei meine Stadt. Wenn das stimmt, darf ich nicht zulassen, dass Unschuldige verletzt werden, solange ich es verhindern kann. Es gibt kein Zurück mehr. Und Hunter wird mir das nie verzeihen. Niemals.
Diese Videobotschaft wird vielleicht Tausenden in der Tiefe das Leben retten, aber unsere Beziehung wird sie zerstören.
Macht mir das denn gar nichts aus?
Doch, natürlich. Aber was hätte ich sonst tun sollen?
»Ähem«, räuspert sich Landon. Ich habe fast vergessen, dass er und die anderen ja auch noch da sind. »Und was jetzt?«
»Ich brauche nur ein paar Minuten, um das hochzuladen«, sagt Turk. »Ich kenne jemanden mit guten Kontakten zu den Netzadministratoren. Der sollte das auf alle Großbildschirme der Stadt bringen können.«
»Gut.« Ich sehe auf die Uhr an der Wand. Es ist gegen vier Uhr morgens, und ich fühle mich, als hätte ich vierundzwanzig Stunden nicht geschlafen.
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