Mystic City Bd 1 - Das gefangene Herz
spielen euer Lied.«
»Unser Lied?«, frage ich dümmlich.
»Offenbar. Komm jetzt!« Kiki reicht mir meine Handtasche.
Ich bin schon fast an der Tür, als ich darin etwas klimpern höre. Ich öffne die Tasche – und erblicke ein glänzendes, silbernes Medaillon. Als ich es in die Hand nehme, schießt ein Energieblitz durch meinen Körper. Eine Erinnerung, ein Gefühl flammt in mir auf: Dieses Medaillon gehört mir.
In der Handtasche steckt außerdem ein winziges Stück Papier. Ich falte es auf. In einer fremden Handschrift stehen dort zwei Wörter:
Erinnere dich.
2
Am nächsten Morgen wache ich auf, ehe Davida kommt, um mir beim Baden und Anziehen zu helfen. Mein Kinn schmerzt vom Sturz gestern Abend und an den Knien habe ich blaue Flecken, aber ansonsten geht es mir bestens. Sogar besser als bestens – ich freue mich darüber, endlich einmal etwas anderes als lähmende Erinnerungslosigkeit zu spüren.
Thomas. Von klein auf wurde ich dazu erzogen, ihn zu verachten, doch eigentlich ist er … nett. Fürsorglich. Sensibel. Selbst wenn meine Erinnerung nicht zurückkehrt, könnte ich mich neu in ihn verlieben. Vielleicht.
Ich rolle mich aus dem Bett und wasche mir im Badezimmer das Gesicht. Glücklicherweise bin ich mit dem frischen Teint meiner Mutter und den großen braunen Augen meines Vaters gesegnet. Als ich vor dem Spiegel die Lippen spitze, muss ich feststellen, dass ich ziemlich gut aussehe für jemanden, der gerade um ein Haar draufgegangen wäre.
Ich suche meine Handtasche, schüttele das Medaillon heraus und betrachte es von allen Seiten. Ich kann nichts Ungewöhnliches daran finden. Es ist glatt bis auf eine wirbelförmige Gravur. Kein Verschluss. Es scheint massiv. Vielleicht ist es gar kein Medaillon, sondern nur ein Herz mit Einfassung.
Ich hole den Zettel hervor und starre einen Moment lang darauf. Dann lasse ich das Medaillon wieder in die Tasche gleiten, stecke das Papier dazu und verstaue alles in meinem Kleiderschrank. Erinnere dich …
Anschließend setzte ich mich mit meinem TouchMe hin. Nachdem ich die Überdosis Stic genommen hatte, haben meine Eltern ihn mir weggenommen. Auf der Party gestern bekam ich ihn wieder zurück.
Ich scrolle mich durch die verschiedenen Anwendungen zu meinen E-Mails. Ich suche nach Medaillon – ohne Erfolg. Dann durchsuche ich die Nachrichten nach Datum und fange mit zuletzt eingegangenen an. Ein paar Glückwünsche zur bestandenen Abschlussprüfung und zur Verlobung, das war’s – nichts von Thomas oder Kiki oder den anderen Mädchen an der Florence Academy. Ansonsten ist der Speicher so gut wie leer.
Es klopft. Davida. Ich gehe zur Zimmertür hinüber, meine Füße sinken in dem weichen grauen Teppich ein.
»Kann ich reinkommen?«, fragt sie, während die Tür schon aufgeht.
»Natürlich«, antworte ich und lege den TouchMe beiseite. Davida trägt wie gewöhnlich eine schwarze Uniform: eine langärmelige Bluse mit strengem Kragen, eine enge Hose, hochglanzpolierte Schuhe mit flachem Absatz, dazu dünne schwarze Handschuhe.
Die Handschuhe sind ihre persönliche Note. Sie trägt sie seit ihrem elften Lebensjahr. In dem Waisenhaus, in dem sie aufwuchs, hatte sie einen schlimmen Unfall beim Kochen. Ich habe ihre Hände nie gesehen, doch als ich klein war, hat Kyle mir den Anblick dieser versehrten Hände so genau ausgemalt, dass ich Albträume davon bekam: Narbengewebe bis hinauf zum Ellbogen, die Haut wie Marmor, steif und glänzend wie die Hände eines Filmmonsters.
»Du bist ja früh auf«, sagt Davida. Ihr Haar hat sie zu einem perfekten Knoten gebunden. Sie ist siebzehn und hat ein Gesicht, von dem andere Mädchen nur träumen können: große braune Augen, hohe Wangenknochen und volle Lippen. Anders als die meisten Bewohner der Horste weigern sich meine Eltern, Mystiker einzustellen. Davida und alle anderen Hausangestellten gehören zur nicht-mystischen Unterschicht. »Magdalena hat Kaffee gemacht – falls du welchen möchtest.«
Magdalena ist vor allem für meine Mutter zuständig und macht von allen den stärksten Kaffee. Zu stark für mich. »Danke, nein, Davida.«
Sie beginnt mein Bett zu machen. Dabei beugt sie sich vor und nimmt das Ende der Decke mit der einen Hand und zieht sie mit der anderen glatt. »Wie fühlst du dich?«
Immer wenn ich diese Frage höre, würde ich am liebsten schreien, so oft ist sie mir in letzter Zeit gestellt worden. Nur Davida ist sie erlaubt, denn wenn sie Anteil an mir nimmt, bin ich froh. Eigentlich ist
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