Mystic River
Nacht im Last Drop war. Jetzt denkt sie vielleicht über alle Einzelheiten nach, die nicht zusammenpassen, und reimt sich die Einzelteile zusammen.«
»Und das macht ihr eine Heidenangst?«
»Kann sein. Keine Ahnung.« Sean kickte einen Stein gegen das Haus. »Ich hab das Gefühl, als ob …«
»Was?«
»Ich hab das Gefühl, als ob die ganzen Teile nebeneinander hertanzen, aber nicht richtig zusammenpassen. Kommt mir vor, als entginge uns etwas.«
»Glaubst du wirklich nicht, dass es Boyle war?«
»Ich schließe es nicht aus. So ist es nicht. Ich würde es ihm zutrauen, wenn ich mir auch nur eine Sekunde lang ein Motiv vorstellen könnte.«
Whitey machte einen Schritt nach hinten und stemmte den Fuß gegen den Laternenmast. Er warf Sean einen Blick zu, den Sean bei Zeugenvernehmungen von Whitey gesehen hatte, wenn der Boss nicht genau wusste, ob der Zeuge vor Gericht durchhalten würde.
»Gut«, sagte Whitey. »Das mit dem Motiv stört mich auch. Aber nicht allzu sehr, Sean. Nicht so sehr. Ich glaube, irgendwo gibt es was, das ihn mit der Sache in Verbindung bringt. Warum sollte er uns sonst anlügen, verdammt noch mal?«
»Komm!«, wandte Sean ein. »Das ist doch immer so. Wir werden schon einfach deshalb angelogen, weil die Leute wissen wollen, wie so was ist. Diese Gegend um den Last Drop, da ist nachts ganz schön was los – da ziehen regelmäßig Nutten, Transvestiten und abgefuckte Kids ihre Runden. Vielleicht wollte sich Dave einfach nur im Auto einen blasen lassen und möchte nicht, dass seine Frau das rauskriegt. Vielleicht hat er nebenbei eine andere. Wer weiß? Aber bis jetzt gibt es absolut nichts, was ihn mit dem Mord an Katie Marcus in Verbindung bringt.«
»Außer einem Haufen Lügen und meinem Gefühl, dass er Dreck am Stecken hat.«
»Dein Gefühl«, wiederholte Sean.
»Sean«, sagte Whitey. »Er hat uns angelogen, was die Zeit angeht, als er das McGills verließ. Er hat uns hinsichtlich der Zeit angelogen, wann er nach Hause kam. Er parkte vor dem Last Drop, als das Opfer rausging. Er war in zwei der Kneipen, in denen sie war, versucht aber, es zu verheimlichen. Er hat eine stark geschwollene Hand und erzählt uns ein Märchen darüber, wo er sich die geholt hat. Er kannte das Opfer, genau wie der Täter.« Für jeden neuen Punkt streckte Whitey einen Finger mehr in die Luft. »Das Profil des Lustmörders passt auf ihn wie der Arsch auf den Eimer: Er ist weiß, Mitte dreißig, geringbeschäftigt und, nach dem zu urteilen, was du mir gestern erzählt hast, als Kind sexuell missbraucht worden. Willst du mich verarschen? Normalerweise müsste er längst im Knast sitzen.«
»Aber du hast es gerade selbst gesagt – er war ein Opfer sexuellen Missbrauchs, Katherine Marcus hingegen wurde nicht sexuell missbraucht. Das ergibt keinen Sinn, Sarge.«
»Er kann sich ja auch vor ihr einen runtergeholt haben.«
»Am Tatort wurde kein Sperma gefunden.«
»Es hat geregnet.«
»Aber nicht da, wo die Leiche gefunden wurde. Bei zufälligen Lustmorden gehört Samenerguss fast immer dazu, ich würde sagen, in neunundneunzig Prozent aller Fälle. Aber hier ist das nicht so.«
Whitey senkte den Kopf und trommelte mit den Händen gegen den Laternenmast. »Du warst als Kind mit dem Vater des Opfers und mit einem potenziellen Verdächtigen befreundet …«
»Oh, bitte!«
»Du bist befangen. Erzähl mir nichts! Du bist eine richtige Belastung hier!«
»Ich bin … was?« Sean senkte die Stimme und nahm die vor der Brust verschränkten Arme herunter. »Hör zu!«, begann er. »Ich stimme lediglich nicht mit dir überein, was das Profil des Verdächtigen angeht. Ich sage nicht, dass ich nicht sofort mit dabei bin und ihn einbuchte, wenn wir mehr gegen Dave Boyle in der Hand haben als nur ein paar Ungereimtheiten. Das weißt du genau. Aber wenn du jetzt mit dem, was du hast, zum Staatsanwalt läufst, was passiert dann?«
Whitey trommelte heftiger gegen den Mast.
»Ehrlich jetzt«, hakte Sean nach, »was passiert dann?«
Whitey hob die Arme über den Kopf und stieß ein schauderndes Gähnen aus. Er schaute Sean an und runzelte müde die Stirn. »Sehe ich ein. Aber«, er hob den Finger, » aber, du verdammter Rechtsverdreher, du, ich find den Knüppel, mit dem sie geschlagen wurde, oder die Pistole oder blutige Klamotten. Ich weiß noch nicht genau, was, aber irgendwas werde ich finden. Und wenn ich es finde, dann ist dein Freund dran.«
»Er ist nicht mein Freund«, sagte Sean. »Wenn du Recht haben
Weitere Kostenlose Bücher