Mystic River
worden war, die sie genauso wenig gekannt hatten, und Jimmy konnte die Erde dumpf aufprallen hören, als läge er mit ihr im Sarg.
Da läge sie im Dunkel unter der Erde, die sich zwei Meter über ihr auftürmte, darüber Gras und Luft, die sie niemals sehen, fühlen, riechen oder spüren würde. Tausend Jahre würde sie dort liegen, unfähig, die Schritte der Menschen zu hören, die ihr Grab besuchten, unfähig, die Welt zu hören, die sie verlassen hatte, weil so viel Erde dazwischenlag.
Ich werde ihn umbringen, Katie. Irgendwie werde ich ihn vor der Polizei finden und dann bringe ich ihn um. Ich werde ihn in ein viel schlimmeres Loch stecken als das, in das du kommen wirst. Da wird nichts zum Einbalsamieren übrig bleiben. Nichts zum Betrauern. Ich werde ihn verschwinden lassen, als hätte er nie existiert, als wäre sein Name und alles, was er war und jetzt zu sein glaubt, nur ein Traum gewesen, der jemandem kurz durch den Kopf geht und vergessen ist, beim Aufwachen vergessen ist.
Ich werde den Mann finden, der dich da unten auf den Tisch gebracht hat, und ich werde ihn vernichten. Und seine Angehörigen – wenn er welche hat – werden größeren Kummer empfinden als die deinigen, Katie. Weil sie niemals Gewissheit besitzen werden, was mit ihm geschehen ist.
Und mach dir keine Gedanken darüber, ob ich dazu fähig bin, mein Schatz. Daddy ist dazu fähig. Du wusstest es nicht, aber Daddy hat schon einmal getötet. Daddy hat getan, was zu tun war. Und er kann es wieder tun.
Jimmy wandte sich an Bruces Sohn, der noch so neu im Geschäft war, dass ihn lange Pausen irritierten.
Jimmy sagte: »Ich möchte die Anzeige folgendermaßen: Katherine Juanita Marcus, geliebte Tochter von James und Marita (verstorben), Stieftochter von Annabeth, Schwester von Sara und Nadine …«
Sean saß mit Annabeth Marcus auf der Veranda. Sie trank ab und zu einen kleinen Schluck aus einem Glas Weißwein, rauchte die Zigaretten zur Hälfte und drückte sie dann aus. Das Licht einer nackten Glühbirne, die über ihnen hing, fiel auf ihr Gesicht. Es wirkte sehr streng. Sie konnte nie hübsch, aber immer beeindruckend ausgesehen haben. Offensichtlich fand sie es nicht ungewöhnlich, angestarrt zu werden. So kam es Sean jedenfalls vor. Doch sie schien nicht zu wissen, warum sie Blicke auf sich zog. Sie erinnerte Sean ein wenig an Jimmys Mutter, nur dass sie nicht diese Resignation und diesen Pessimismus ausstrahlte, aber Sean musste auch an seine eigene Mutter mit ihrer vollkommenen, mühelosen Selbstbeherrschung denken. In dieser Hinsicht ähnelte Annabeth sogar Jimmy ein bisschen. Sean hielt Annabeth Marcus für eine lebenslustige, aber keine frivole Frau.
»Und«, erkundigte sie sich bei Sean, der ihr Feuer gab, »was machen Sie mit Ihrem Abend, wenn Sie als mein Tröster entlassen sind?«
»Ich bin nicht Ihr …«
Sie winkte ab. »Ich finde es nett. Also, was machen Sie dann?«
»Meine Mutter besuchen.«
»Wirklich?«
Er nickte. »Sie hat heute Geburtstag. Ich feiere mit ihr und meinem Vater.«
»Aha«, sagte sie. »Und wie lange sind Sie schon geschieden?«
»Sieht man das?«
»Das steht Ihnen auf die Stirn geschrieben.«
»Oh. Wir leben seit etwas mehr als einem Jahr getrennt.«
»Wohnt sie hier?«
»Nicht mehr. Sie reist herum.«
»Es hört sich verbittert an, wie Sie das sagen.«
»Ja?« Er zuckte mit den Schultern.
Sie hob die Hand. »Ich tu das wirklich nicht gerne – mich auf Ihre Kosten von Katie ablenken. Sie müssen meine Fragen echt nicht beantworten. Ich bin nur neugierig und Sie sind ein interessanter Mann.«
Er lächelte. »Nein, bin ich nicht. Ich bin in Wirklichkeit sehr langweilig, Mrs. Marcus. Ohne meine Arbeit bin ich nichts.«
»Annabeth«, sagte sie, »nennen Sie mich bitte Annabeth!«
»Gut.«
»Es fällt mir schwer zu glauben, Trooper Devine, dass Sie langweilig sein sollen. Wissen Sie aber, was komisch ist?«
»Was denn?«
Sie sah ihn an. »Sie kommen mir nicht wie ein Typ vor, der anderen falsche Knöllchen ausstellt.«
»Wieso?«
»Es wirkt so kindisch«, antwortete sie. »Sie kommen mir nicht kindisch vor.«
Sean zuckte mit den Achseln. Seiner Erfahrung nach benahm sich jeder irgendwann einmal kindisch. Man flüchtete sich gerne in kindische Verhaltensweisen, besonders wenn es faustdick kam.
Seit mehr als einem Jahr hatte er mit niemandem über Lauren gesprochen – nicht mit seinen Eltern, nicht mit seinen wenigen Freunden, nicht mal mit dem Polizeipsychologen, den der
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